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Wenn man Goethes Schriften mit der Aufmerksamkeit, die einem der ersten Schriftsteller der Nation gebührt, lieset, und sie mit einander vergleicht, so wird man immerfort daran erinnert, daß das Gedicht, welches den Titel Faust führt, stückweise gemacht ist; mit den mannichfachsten Intentionen, und in den verschiedensten Stimmungen. Dabei sind die einzelnen Theile nur zuletzt sehr ungeschickt zu einem Ganzen verbunden. [ Gräf Nr. 857: Nachdem der Dichter mehreremale angefangen, den Faden fallen lassen, und wieder aufgenommen hatte, zeigte er seinem damaligen Freunde Zimmermann einen Haufen Papiere, mit den Worten: da ist mein Faust. ] Nachdem er das Werk lange Zeit hindurch zur Seite hatte liegen lassen, nahm er es wieder auf, um sich nunmehr damit „einen Rückzug in die Symbol-Ideen- und Nebelwelt vorzubereiten“ (Brief an Schiller im dritten Bande der Correspondenz). Doch schrieb ihm Schiller 1797 (Briefwechsel von Goethe und Schiller, im dritten Bande, S. 132), nachdem das erste Fragment schon vor 7 Jahren gedruckt war: „Sie mögen sich wenden, wie Sie wollen, so wird Ihnen die Natur des Gegenstandes eine philosophische Behandlung auflegen; und die Einbildungskraft wird sich zum Dienste einer Vernunftidee bequemen müssen.“ An diese, die Idee, war also bis dahin noch nicht gedacht; und noch 1801 wußte Goethe nicht, was das Ganze eigentlich für einen Sinn, – man dürfte wohl sagen, – ob es einen Sinn haben solle? (Ebendaselbst.)