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43/113. An Sulpiz Boisserée

[ Gräf Nr. 1541: Ausführung an, wobey man sich denn freylich sehr zusammen nehmen muß. ]

Von Kunstwerken acquirirte ich bedeutende ältere Zeichnungen und verschaffte mir die Abdrücke der Stoschischen Sammlung, welche in Berlin sehr lobenswerth gefertigt und, nach dem alten Winckelmannischen Katalog geordnet, in zierlichen Kästchen ausgegeben werden; sie beschäftigten mich mehrere Tage und müssen noch immer von Zeit zu Zeit beachtet werden als ein ganz unerschöpflicher Schatz, dessen Einzelnheiten uns zu den höchsten, besten Gedanken aufregen.

Im Begriff des Technischen der Mahlerey hat mich Folgendes gar sehr gefördert: die Anwesenheit des Restaurator Palmaroli in Dresden bewog unsern gnädigsten Herrn, den hiesigen Zeichenmeister Lieber, 163 der sich wegen seiner großen Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit besonders dazu empfiehlt, dorthin zu senden, wo denn glücklicherweise der Italiäner seinen Kunstgenossen in Affection nahm und wir glauben können, daß er ihn wirklich in das Technische dieses Geschäfts völlig eingeleitet habe. Mehrere verdorbene, von hier nach Dresden gesendete Bilder sind zu allgemeiner Zufriedenheit von da zurückgekommen. Lieber hat sich nunmehr hier schon eingerichtet und wird seine Künste weiter sehen lassen. Vom Übertragen des Ölbildes von einer Leinwand auf die andere hat er schon hinreichende Probe gegeben. Und so folgt eins aus dem andern. Freylich wird gar manches bey aufgehobener Stockung der Communication schneller sich verbreiten und das Gute fernerhin leichter zu fördern seyn dem der's will und versteht.

Nun aber machte von ästhetischer Seite Alexander Manzoni's Roman: I Promessi Sposi bey mir wirklich Epoche. Lesen Sie gewöhnlich den Globe, welches kein Gebildeter versäumen sollte, der mit dem Treiben und Wirken unsrer westlichen Nachbarn in Verbindung bleiben will, so sind Sie schon mit diesem bedeutenden Werke genugsam bekannt; käme Ihnen aber das Original oder irgend eine Übersetzung zu Handen, so versäumen Sie nicht, sich mit genanntem Werk bekannt zu machen. Zwey deutsche Übersetzungen kommen heraus; die Berliner hält sich mehr an die Darstellungsweise des Originals und liefert uns ziemlich das Wie 164 des Vorgehenden; die Leipziger gibt uns auf alle Fälle auch von dem was geschehen historische Kenntnisse. Wem das Original zugänglich ist und wer eine gewiß bald erfolgende französische Übersetzung zur Hand nimmt, wird sich freylich immer besser befinden.

Auch war mir plastisches Gebilde fortwährend günstig: Von Berlin erhielt ich fernere Gypsabgüsse von denen in England befindlichen antiken Terracottas, auch einzelne Figuren von dem berühmten Basrelief, die Vergötterung Homers vorstellend, zu meiner Zeit noch im Palast Colonna. Dergleichen Gegenstände treiben immer auf's neue in's Alterthum, zur Betrachtung der Gesinnungen, Sitten und Kunstweise jener Zeiten. Da man sich denn immer einrichten muß, in einem unerforschlichen Meere zu schwimmen.

Von da ward ich wieder in den äußersten Norden verschlagen, denn dort muß man wohl die Urfabel des Nibelungen-Liedes aufsuchen. Ein neuer Versuch, uns nah genug an dieses Gedicht, wie es in altdeutscher Form vor uns liegt, heranzuführen, von einem Berliner namens Simrock, verführte mich darauf einzugehen. Hier wird uns nun zu Muthe wie immer, wenn wir auf's neue vor ein schon bekanntes colossales Bild hintreten, es wird immer auf's neue überschwänglich und ungeheuer, und wir fühlen uns gewissermaßen unbehaglich, indem wir uns mit unsern individuellen Kräften weder dasselbe völlig zueignen noch uns demselben völlig gleichstellen können.

165 Das ist dagegen das Eigne der griechischen Dichtkunst, daß sie sich einer löblichen menschlichen Fassungskraft hingibt und gleichstellt; das Erhabene verkörpert sich im Schönen.

Zur Fortsetzung verpflichtet

Weimar den 11. November 1827.

J. W. v. Goethe.

Beykommendes, wegen Verspätung um Vergebung Bittendes, erfolgt hier mit den treusten Wünschen; um es nicht länger aufzuhalten, sage nur kürzlich: daß die letzte lithographische Sendung wohl angekommen, auch die Zahlung Großherzoglicher Rechnung bestens empfohlen ist. Diese Abtheilung Ihres löblichen Werkes hat uns abermals viel zu denken gegeben, hier ist wieder eine eigne Welt, deren Kenntniß wir Ihren großen Bemühungen schuldig sind.

Herr v. Cotta bringt die Schillerische Correspondenz wieder in Anregung, ohne die in solchen Fällen so nöthige Bestimmtheit. Er scheint eine partielle Ablieferung des Manuscriptes zu beabsichtigen, wobey denn freylich auch eine partielle Zahlung des Honorars erfolgen müßte. Ich werde ihm deshalb nächstens ausführlicher schreiben und wünsche ihm auch hierin zu Willen zu seyn, weil er denn doch am besten wissen muß, wie eine Sache anzugreifen ist und wie sie fortschreiten kann. Erhalten Sie mir ein wohlwollendes Andenken; [ Gräf Nr. 1552: ich nutze möglichst meine Tage, um das noch zu leisten was kein anderer thun könnte. 166 Da wird denn doch, unter uns gesagt, noch manches zurück bleiben. ]

Und so fortan empfohlen zu seyn wünscht

der Ihrige

Weimar den 11. November 1827.

G.