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Notice sur la vie et les Ouvrages de Goethe par Albert Stapfer.

[ Gräf Nr. 1399a: Die dem ersten Theile jener Uebersetzung meiner dramatischen Werke vorgesetzte Notiz, meine Lebensereignisse und schriftstellerische Laufbahn betreffend, durfte ich bey dieser Gelegenheit auch nicht außer Acht lassen. ] Hier gab es mancherley zu denken und zu bedenken, und zwar im allgemeinsten, über Menschen-Wesen und Geschick. Das Gewebe unseres Lebens und Wirkens bildet sich aus gar verschiedenen Fäden, indem sich Nothwendiges und Zufälliges, Willkührliches und Rein-Gewolltes, jedes von der verschiedensten Art und oft nicht zu unterscheiden, durcheinander schränkt.

Die eigenthümliche Weise, wie der Einzelne sein vergangenes Leben betrachtet, kann 172daher niemand mit ihm theilen; wie uns der Augenblick sonst nicht genügte, so genügen uns nun die Jahre nicht, und da der Abschluß am Ende mit unsern Wünschen meistens nicht übereinstimmt, so scheint uns der ganze Inhalt der Rechnung von keinem sonderlichen Werth: wie denn gerade dadurch die weisesten Menschen verleitet wurden auszusprechen, daß alles eitel sey.

Der Biograph an seiner Stelle ist, als Dritter, gegen den Mann dem er seine Aufmerksamkeit widmete, entschieden im Vortheil, er hält sich an das Resultat wie es im Ganzen erscheint, geht von da zurück auf das folgerechte und folgelose Handeln, forscht nach den angewandten Mitteln, dem benutzten Vermögen, den verborgenen Kräften, und wenn ihm auch manches Besondere unentdeckt bleibt, so leitet ihn doch ein reiner Blick auf das Allgemeine.

Für alles was sittlich genannt wird giebt es eben so sichere Deutezeichen als für das 173was wir durch sinnliche Gegenwart erkennen; in beyden Fällen aber ungetrübt zu schauen, tüchtig zu ergreifen, klar zu sondern und gerecht zu beurtheilen, dazu gehört angeborner Tact und unausgesetzte leidenschaftlich durchgeführte Uebung.

Ich wünsche daß meine Freunde obgedachte Notiz lesen mögen. Hie und da wissen sie es anders, hie und da denken sie anders, aber sie werden mit mir dankbar bewundern, wie der Biograph mit Wohlwollen das Offenbare sich zuzueignen und das Verborgene zu entziffern gewußt hat. Ferner ist merkwürdig, wie er auf diesem Wege zu gewissen Ansichten über seinen Gegenstand gelangte, die denjenigen in Verwunderung setzen der sie vor allen andern hätte gewinnen sollen, und dem sie doch entgangen sind, eben weil sie zu nahe lagen.

[ Gräf Nr. 1399a (weiter): Jene Recension, deren Auszug wir oben mitzutheilen angefangen, sind wir, wie es sich ergiebt, eben diesen Bemühungen schul 174dig. Recension und Notiz sind übereinstimmend, nicht gleichlautend, und für mich gerade in dem Augenblick höchst bedeutend, da es mir zur Pflicht geworden mich mit mir selbst, meinem Geleisteten und Vollbrachten, wie dem Verfehlten und dem Versäumten zu beschäftigen. ]