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26/7373. An Carl Friedrich Zelter

Deine Briefe, mein Werthester, überraschten mich sehr angenehm in meinem Garten und gaben mir viel zu denken, ja sie erregten mich zu einer weitläufigen Unterhaltung in die Ferne; da kam Mendelssohn und da ich einmal im Zuge und er von dir empfohlen war; so sagte ich ihm was ich dir wohl gesagt haben würde, welches er wohl verdiente, da er sehr einsichtig sprach und manche Hauptpuncte der Wissenschaft, Kunst und des Lebens im Laufe des Gesprächs zur Rede brachte. Die Seinigen habe ich leider nicht gesehen, sie blieben nur einen Nachmittag hier, ich hätte sie gern heute zum Frühstück geladen und ihnen meine sieben Sachen vorgezeigt.

Vom Staatsrath Schultz hab ich einen allerliebsten Brief. Wenn die Deutschen sich einer allgemeinern Untheilnahme befleißigen und auf eine häßliche Art dasjenige ablehnen, was sie mit beyden Händen ergreifen sollten, so ist der Einzelne wirklich himmlisch, wenn er treu und redlich theilnimmt und freudig mitwirkt. Grüße ihn, wenn du ihn siehst, zum allerschönsten. Seebeck in Nürnberg hält sich trefflich, und ich will gar nicht läugnen, daß es mich höchlich freut, daß ein alter und so treuer Mitarbeiter in Paris den Preis gewinne, indessen die Deutschen sich wie starre Gespenster gegen uns betragen; es ist ihnen 338 aber nicht geschenkt, ich warte nur auf schickliche Gelegenheit sie recht übel zu behandeln.

Bey unsern neuen Einrichtungen in Jena werde ich einen ganzen chromatischen Apparat aufstellen, an den noch keine Akademie der Wissenschaften gedacht hat; bey dieser Gelegenheit sollen sie allerley hören. Doch ist in solchen Dingen nichts mit Gewalt zu thun, man muß abwarten, bis eine Meinung wie eine Contagion die Menschen ergreift.

Fahre ja fort mit deinen Theater-Recensionen. Es mag freylich bey euch wunderlich aussehen, wenn man über ein so nacktes und herkömmliches Stück, wie Clavigo, nicht Herr werden kann. Ferner ist es eine rechte deutsche Art, zu einem Gedicht oder sonstigen Werke den Eingang überall, nur nicht durch die Thüre zu suchen. Ich habe Zeit meines Lebens Gelegenheit genug gehabt mich zu verwundern, daß vollkommen gebildete Personen ästhetische oder höhere sittliche Zwecke durchaus nicht anzuerkennen wissen. Ich möchte keinen Vers geschrieben haben, wenn nicht tausend und aber tausend Menschen die Productionen läsen und sich etwas dabey, dazu, heraus oder hinein dächten.

[ Gräf Nr. 1171: Der Faust mag euch noch in künftigen Monaten manche confuse Stunde bereiten. Wenn du fortfährst so grob zu seyn, wie gegen die unlustige gräfliche Person, so wirst du schon was zu Wege bringen; das geist- und sorgenlose Wesen der Menschen ist in solchen Fällen gar häufig. Der unglaubliche Dünkel 339 in den die jungen Leute jetzt hineinwachsen, wird sich in einigen Jahren zu den größten Narrheiten manifestiren. ]

Sieh doch manchmal in's Morgenblatt, dort findest du von mir einzelne Mittheilungen, die in's Ganze gehen und wovon du dir gewiß manches zueignen kannst. Es liegen überhaupt sehr viele Aufsätze bey mir; sie zu retouchiren und zu publiciren macht mir dieses Frühjahr einigen Spaß; ist es denn doch der erste Frühling, den man seit langer Zeit ohne Grauen und Schrecken herankommen sieht.

Vergangnen Sonntag hatten wir die große Feyerlichkeit der Huldigung. Die Würden, Ehren und Auszeichnungen, die uns da zu Theil wurden, sagten jedem Verständigen mit vernehmlicher Stimme, daß er sich in der ersten Zeit nicht selbst angehören werde. Mir wird indessen die heiterste Aufgabe zu Theil, mir liegt nichts ob als was ich gut verstehe, und ich fahre nur fort dasjenige zu thun, was ich seit 40 Jahren gethan habe, mit auslangenden Mitteln, großer Freyheit und ohne Qual und Hast.

In den ersten Monaten komm ich nicht von hier weg; wenn du also nach dem Rhein gehst, so richte dich ein, einige Tage bey mir zu verweilen, damit wir unsere Zustände wechselseitig aufklären und einander nützlich und behülflich seyn mögen.

Gewähre der erstandene Christ deinen Concerten und Hochzeiten allen Segen!

340 Die letzte leere Seite mögen einige Verslein einnehmen, zu beliebigem Gebrauch.

Weimar d. 14. Apr. 1816.

G.