∞
∞Zueignung
1Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten!
2Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.
3Versuch’ ich wohl euch diesmal fest zu halten?
4Fühl’ ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?
5Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,
6Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;
7Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert
8Vom Zauberhauch der euren Zug umwittert.
9Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage,
10Und manche liebe Schatten steigen auf;
11Gleich einer alten, halbverklungnen Sage,
12Kommt erste Lieb’ und Freundschaft mit herauf;
13Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage
14Des Lebens labyrinthisch irren Lauf,
15Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden
16Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.
17Sie hören nicht die folgenden Gesänge,
18Die Seelen, denen ich die ersten sang,
19Zerstoben ist das freundliche Gedränge,
20Verklungen ach! der erste Wiederklang.
22Ihr Beyfall selbst macht meinem Herzen bang,
23Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,
24Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.
25Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen
26Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich,
27Es schwebet nun, in unbestimmten Tönen,
28Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich,
29Ein Schauer faßt mich, Thräne folgt den Thränen,
30Das strenge Herz es fühlt sich mild und weich;
31Was ich besitze seh’ ich wie im weiten,
32Und was verschwand wird mir zu Wirklichkeiten.
∞
∞Vorspiel auf dem Theater
∞Director,
Theaterdichter, lustige Person
∞Director
33Ihr beyden die ihr mir so oft,
34In Noth und Trübsal, beygestanden,
35Sagt was ihr wohl, in deutschen Landen,
36Von unsrer Unternehmung hofft?
37Ich wünschte sehr der Menge zu behagen,
38Besonders weil sie lebt und leben läßt.
39Die Pfosten sind, die Breter aufgeschlagen,
40Und jedermann erwartet sich ein Fest.
41Sie sitzen schon, mit hohen Augenbraunen,
42Gelassen da und möchten gern erstaunen.
43Ich weiß wie man den Geist des Volks versöhnt;
44Doch so verlegen bin ich nie gewesen;
45Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
46Allein sie haben schrecklich viel gelesen.
47Wie machen wir’s? daß alles frisch und neu
48Und mit Bedeutung auch gefällig sey.
49Denn freylich mag ich gern die Menge sehen,
50Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt,
51Und mit gewaltig wiederholten Wehen,
52Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt;
53Bey hellem Tage, schon vor Vieren,
54Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht
55Und, wie in Hungersnoth um Brot an Beckerthüren,
56Um ein Billet sich fast die Hälse bricht.
57Dieß Wunder wirkt auf so verschiedne Leute
∞Dichter
59O sprich mir nicht von jener bunten Menge,
60Bey deren Anblick uns der Geist entflieht.
61Verhülle mir das wogende Gedränge,
62Das wider Willen uns zum Strudel zieht.
63Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,
64Wo nur dem Dichter reine Freude blüht;
65Wo Lieb’ und Freundschaft unsres Herzens Segen
66Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.
67Ach! was in tiefer Brust uns da
entsprungen,
68Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt,
69Mißrathen jetzt und jetzt vielleicht gelungen,
70Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.
71Oft wenn es erst durch Jahre durchgedrungen
72Erscheint es in vollendeter Gestalt.
73Was glänzt ist für den Augenblick geboren,
74Das Ächte bleibt der Nachwelt unverloren.
∞Lustige
Person
75Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte.
76Gesetzt daß ich von Nachwelt
reden wollte,
77Wer machte denn der Mitwelt Spaß?
78Den will sie doch und soll ihn haben.
79Die Gegenwart von einem braven Knaben
80Ist, dächt’ ich, immer auch schon was.
81Wer sich behaglich mitzutheilen weiß,
82Den wird des Volkes Laune nicht erbittern;
83Er wünscht sich einen großen Kreis,
84Um ihn gewisser zu erschüttern.
85Drum seyd nur brav und zeigt euch musterhaft,
86Laßt Phantasie, mit allen ihren Chören,
87Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,
88Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören.
∞Director
89Besonders aber laßt genug geschehn!
90Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.
92So daß die Menge staunend gaffen kann,
93Da habt ihr in der Breite gleich gewonnen,
94Ihr seyd ein vielgeliebter Mann.
95Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen,
96Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
98Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
99Gebt ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!
100Solch ein Ragout es muß euch glücken;
101Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
102Was hilft’s wenn ihr ein Ganzes dargebracht,
103Das Publikum wird es euch doch zerpflücken.
∞Dichter
104Ihr fühlet nicht wie schlecht ein solches Handwerk sey!
105Wie wenig das den ächten Künstler zieme!
106Der saubern Herren Pfuscherey
107Ist, merk’ ich, schon bey euch Maxime.
∞Director
108Ein solcher Vorwurf läßt mich ungekränkt;
109Ein Mann, der recht zu wirken denkt,
110Muß auf das beste Werkzeug halten.
111Bedenkt, ihr habet weiches Holz zu spalten,
112Und seht nur hin für wen ihr schreibt!
113Wenn diesen Langeweile treibt,
114Kommt jener satt vom übertischten Mahle,
115Und, was das allerschlimmste bleibt,
116Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.
117Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten,
118Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt;
119Die Damen geben sich und ihren Putz zum besten
120Und spielen ohne Gage mit.
121Was träumet ihr auf eurer Dichter-Höhe?
122Was macht ein volles Haus euch froh?
123Beseht die Gönner in der Nähe!
124Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.
125Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,
126Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.
127Was plagt ihr armen Thoren viel,
128Zu solchem Zweck, die holden Musen?
129Ich sag’ euch, gebt nur mehr, und immer, immer mehr,
130So könnt ihr euch vom Ziele nie verirren,
131Sucht nur die Menschen zu verwirren,
132Sie zu befriedigen ist schwer – –
133Was fällt euch an? Entzückung oder Schmerzen?
∞Dichter
134Geh hin und such dir einen andern Knecht!
135Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,
136Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,
137Um deinetwillen freventlich verscherzen!
138Wodurch bewegt er alle Herzen?
139Wodurch besiegt er jedes Element?
140Ist es der Einklang nicht? der aus dem Busen dringt,
141Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt.
142Wenn die Natur des Fadens ew’ge Länge,
143Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,
144Wenn aller Wesen unharmon’sche Menge
145Verdrießlich durch einander klingt;
146Wer theilt die fließend immer gleiche Reihe
147Belebend ab, daß sie sich rythmisch regt?
148Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe?
149Wo es in herrlichen Accorden schlägt,
150Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüthen?
151Das Abendroth im ernsten Sinne glühn?
153Auf der Geliebten Pfade hin?
154Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter
155Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?
156Wer sichert den Olymp? vereinet Götter?
157Des Menschen Kraft im Dichter offenbart.
∞Lustige
Person
158So braucht sie denn die schönen Kräfte
159Und treibt die dicht’rischen Geschäfte,
160Wie man ein Liebesabenteuer treibt.
161Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt
162Und nach und nach wird man verflochten;
163Es wächst das Glück, dann wird es angefochten,
164Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,
165Und eh man sich’s versieht ist’s eben ein Roman.
166Laßt uns auch so ein Schauspiel geben!
167Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
168Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt,
169Und wo ihr’s packt, da ist’s interessant.
170In bunten Bildern wenig Klarheit,
171Viel Irrthum und ein Fünkchen Wahrheit,
172So wird der beste Trank gebraut,
173Der alle Welt erquickt und auferbaut.
174Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte
175Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,
176Dann sauget jedes zärtliche Gemüthe
177Aus eurem Werk sich melanchol’sche Nahrung;
178Dann wird bald dies bald jenes aufgeregt,
179Ein jeder sieht was er im Herzen trägt.
180Noch sind sie gleich bereit zu weinen und zu lachen,
181Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;
182Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen,
183Ein Werdender wird immer dankbar seyn.
∞Dichter
184So gieb mir auch die Zeiten wieder,
185Da ich noch selbst im Werden war,
186Da sich ein Quell gedrängter Lieder
187Ununterbrochen neu gebar,
188Da Nebel mir die Welt verhüllten,
189Die Knospe Wunder noch versprach,
190Da ich die tausend Blumen brach,
191Die alle Thäler reichlich füllten.
192Ich hatte nichts und doch genug,
193Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.
194Gieb ungebändigt jene Triebe,
195Das tiefe schmerzenvolle Glück,
196Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,
197Gieb meine Jugend mir zurück!
∞Lustige
Person
198Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls
199Wenn dich in Schlachten Feinde drängen,
200Wenn mit Gewalt an deinen Hals
201Sich allerliebste Mädchen hängen,
202Wenn fern des schnellen Laufes Kranz
203Vom schwer erreichten Ziele winket,
205Die Nächte schmausend man vertrinket.
206Doch ins bekannte Saitenspiel
207Mit Muth und Anmuth einzugreifen,
208Nach einem selbgesteckten Ziel
209Mit holdem Irren hinzuschweifen,
210Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,
211Und wir verehren euch darum nicht minder.
212Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,
213Es findet uns nur noch als wahre Kinder.
∞Director
214Der Worte sind genug gewechselt,
215Laßt mich auch endlich Thaten sehn;
216Indeß ihr Complimente drechselt,
217Kann etwas nützliches geschehn.
218Was hilft es viel von Stimmung reden?
219Dem Zaudernden erscheint sie nie.
220Gebt ihr euch einmal für Poeten,
221So kommandirt die Poesie.
222Euch ist bekannt was wir bedürfen,
223Wir wollen stark Getränke schlürfen;
224Nun braut mir unverzüglich dran!
226Und keinen Tag soll man verpassen,
227Das Mögliche soll der Entschluß
228Beherzt sogleich beym Schopfe fassen,
229Er will es dann nicht fahren lassen,
230Und wirket weiter, weil er muß.
231Ihr wißt, auf unsern deutschen Bühnen
232Probirt ein jeder was er mag;
233Drum schonet mir an diesem Tag
234Prospecte nicht und nicht Maschinen.
235Gebraucht das groß’ und kleine Himmelslicht,
236Die Sterne dürfet ihr verschwenden;
237An Wasser, Feuer, Felsenwänden,
238An Thier und Vögeln fehlt es nicht.
239So schreitet in dem engen Breterhaus
240Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,
242Vom Himmel, durch die Welt, zur Hölle.
∞
∞Prolog im Himmel
∞Die drey Erzengel treten
vor.
∞Raphael
243Die Sonne tönt, nach alter Weise,
244In Brudersphären Wettgesang,
245Und ihre vorgeschriebne Reise
246Vollendet sie mit Donnergang.
247Ihr Anblick giebt den Engeln Stärke,
248Wenn keiner sie ergründen mag.
249Die unbegreiflich hohen Werke
250Sind herrlich wie am ersten Tag.
∞Gabriel
251Und schnell und unbegreiflich schnelle
252Dreht sich umher der Erde Pracht;
253Es wechselt Paradieses-Helle
254Mit tiefer schauervoller Nacht;
255Es schäumt das Meer in breiten Flüssen
256Am tiefen Grund der Felsen auf,
257Und Fels und Meer wird fortgerissen
258In ewig schnellem Sphärenlauf.
∞Michael
259Und Stürme brausen um die Wette
260Vom Meer aufs Land vom Land aufs Meer,260 aufs Land‸ bis aufs ] A auf’s Land, bis auf’s B
auf’s Land‸ bis auf’s B.a
(IV a)
261Und bilden wüthend eine Kette
262Der tiefsten Wirkung rings umher.
263Da flammt ein blitzendes Verheeren
264Dem Pfade vor des Donnerschlags.
265Doch deine Boten, Herr, verehren
266Das sanfte Wandeln deines Tags.
∞Zu Drey
267Der Anblick giebt den Engeln Stärke
268Da keiner dich ergründen mag,
269Und alle deine hohen Werke
270Sind herrlich wie am ersten Tag.
∞Mephistopheles
271Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst
272Und fragst wie alles sich bey uns befinde,
273Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst;
274So siehst du mich auch unter dem Gesinde.
275Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,
276Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;
279Von Sonn’ und Welten weiß ich nichts zu sagen,
280Ich sehe nur wie sich die Menschen plagen.
281Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem
Schlag,
282Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.
283Ein wenig besser würd’ er leben,
286Nur thierischer als jedes Thier zu seyn.
287Er scheint mir, mit Verlaub von Ew. Gnaden,
288Wie eine der langbeinigen Cicaden,
289Die immer fliegt und fliegend springt
290Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;
291Und läg’ er nur noch immer in dem Grase!
292In jeden Quark begräbt er seine Nase.
∞Der
Herr
293Hast du mir weiter nichts zu sagen?
294Kommst du nur immer anzuklagen?
295Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?
∞Mephistopheles
296Nein Herr! ich find’ es dort, wie immer, herzlich
schlecht.
297Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen,
298Ich mag sogar die Armen selbst nicht plagen.
∞Mephistopheles
300Fürwahr! er dient euch auf besondre Weise.
301Nicht irdisch ist des Thoren Trank noch Speise.
302Ihn treibt die Gährung in die Ferne,
303Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt;
304Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne,
305Und von der Erde jede höchste Lust,
306Und alle Näh’ und alle Ferne
307Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.
∞Der
Herr
308Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient;
309So werd’ ich ihn bald in die Klarheit führen.
310Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,
311Daß Blüt’ und Frucht die künft’gen Jahre zieren.
∞Mephistopheles
312Was wettet ihr? den sollt ihr noch verlieren!
313Wenn ihr mir die Erlaubniß gebt
314Ihn meine Straße sacht zu führen.
∞Mephistopheles
318Da dank’ ich euch; denn mit den Todten
319Hab’ ich mich niemals gern befangen.
321Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus;
322Mir geht es wie der Katze mit der Maus.
∞Der
Herr
323Nun gut, es sey dir überlassen!
324Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,
325Und führ’ ihn, kannst du ihn erfassen,
326Auf deinem Wege mit herab,
327Und steh’ beschämt, wenn du bekennen mußt:
328Ein guter Mensch, in seinem dunkeln Drange,
329Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.
∞Mephistopheles
330Schon gut! nur dauert es nicht lange.
331Mir ist für meine Wette gar nicht bange.
332Wenn ich zu meinem Zweck gelange,
333Erlaubt ihr mir Triumph aus voller Brust.
334Staub soll er fressen, und mit Lust,
335Wie meine Muhme, die berühmte Schlange.
∞Der
Herr
336Du darfst auch da nur frey erscheinen;
337Ich habe deines gleichen nie gehaßt.
338Von allen Geistern die verneinen
339Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.
340Des Menschen Thätigkeit kann allzuleicht erschlaffen,
341Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;
342Drum geb’ ich gern ihm den Gesellen zu,
343Der reizt und wirkt, und muß, als Teufel, schaffen.
344Doch ihr, die ächten Göttersöhne,
345Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!
346Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,
347Umfaß’ euch mit der Liebe holden Schranken,
348Und was in schwankender Erscheinung schwebt,
349Befestiget mit dauernden Gedanken.
∞Der Himmel schließt, die
Erzengel vertheilen sich,
∞
∞Der Tragödie Erster Theil
∞
∞Nacht
∞In einem hochgewölbten, engen, gothischen Zimmer, Faust unruhig auf seinem Sessel am Pultevor 354 Zimmer, ] Zimmer‸
1 H.5
Zimmer, S
Zimmer‸
A B B.a
(I c, II a)
∞Faust
354Habe nun, ach! Philosophie,
355Juristerey und Medicin,
356Und leider auch Theologie!
357Durchaus studirt, mit heißem Bemühn.
358Da steh’ ich nun, ich armer Thor!
360Heiße Magister, heiße Doctor gar,
361Und ziehe schon an die zehen Jahr,
362Herauf, herab und quer und krumm,
363Meine Schüler an der Nase herum –
364Und sehe, daß wir nichts wissen können!
365Das will mir schier das Herz verbrennen.
366Zwar bin ich gescheidter als alle die Laffen,
367Doctoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
368Mich plagen keine Scrupel noch Zweifel,
369Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –
370Dafür ist mir auch alle Freud’ entrissen,
371Bilde mir nicht ein was rechts zu wissen,
373Die Menschen zu bessern und zu bekehren.
374Auch hab’ ich weder Gut noch Geld,
375Noch Ehr’ und Herrlichkeit der Welt.
376Es möchte kein Hund so länger leben!
377Drum hab’ ich mich der Magie ergeben,
378Ob mir durch Geistes Kraft und Mund378 mir‸ bis Mund‸ ] A mir‸ bis Krafft und Mund‸ 1 H.5
mir, bis Mund‸ S
mir, bis Mund, B B.a
(IV a)
379Nicht manch Geheimniß würde kund;
380Daß ich nicht mehr mit sauerm Schweiß,380 mehr‸ bis Schweiß, ] A mehr‸ bis Schweis‸ 1 H.5
mehr, bis saurem Schweiß, S
mehr, bis Schweiß, B B.a
(IV a)
383Im Innersten zusammenhält,
384Schau’ alle Wirkenskraft und Samen,
385Und thu’ nicht mehr in Worten kramen.
386O sähst du, voller Mondenschein,
387Zum letztenmal auf meine Pein,
388Den ich so manche Mitternacht
389An diesem Pult herangewacht:
390Dann über Büchern und Papier,390 Dann‸ bis Papier, ] S A Dann‸ bis Bücher und Papier‸ 1 H.5
Dann‸ bis Bücher und Papier, S
Dann, bis Papier, B B.a
(IV a)
391Trübsel’ger Freund, erschienst du mir!
392Ach! könnt’ ich doch auf Berges-Höh’n,
393In deinem lieben Lichte gehn,
394Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,
395Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,
396Von allem Wissensqualm entladen,
397In deinem Thau gesund mich baden!
398Weh! steck’ ich in dem Kerker
noch?
399Verfluchtes, dumpfes Mauerloch!
400Wo selbst das liebe Himmelslicht
401Trüb’ durch gemahlte Scheiben bricht.
403Den Würme nagen, Staub bedeckt,
404Den, bis an’s hohe Gewölb’ hinauf,
405Ein angeraucht Papier umsteckt;
406Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,
407Mit Instrumenten vollgepfropft,
408Urväter Hausrath drein gestopft –
409Das ist deine Welt! das heißt eine Welt!
410Und fragst du noch, warum dein
Herz
411Sich bang’ in deinem Busen klemmt?
412Warum ein unerklärter Schmerz
413Dir alle Lebensregung hemmt?
414Statt der lebendigen Natur,
415Da Gott die Menschen schuf hinein,
416Umgiebt in Rauch und Moder nur
417Dich Thiergeripp’ und Todtenbein.
419Und dieß geheimnißvolle Buch,
420Von Nostradamus eigner Hand,
421Ist dir es nicht Geleit genug?
422Erkennest dann der Sterne Lauf,
423Und wenn Natur dich unterweist,
424Dann geht die Seelenkraft dir auf,
425Wie spricht ein Geist zum andern Geist.
426Umsonst, daß trocknes Sinnen hier426 Umsonst, ] S A Umsonst‸ 1 H.5
Umsonst! B B.a
Umsonst, 1 H.1 C.1 12 C.3 12
(IV a)
427Die heil’gen Zeichen dir erklärt,
428Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir,
429Antwortet mir, wenn ihr mich hört!
∞Er schlägt das Buch
auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.
430Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick
431Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!
432Ich fühle junges, heil’ges Lebensglück
433Neuglühend mir durch Nerv’ und Adern rinnen.
434War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb?
435Die mir das innre Toben stillen,
436Das arme Herz mit Freude füllen,
437Und mit geheimnißvollem Trieb,
438Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen.
439Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!
440Ich schau’ in diesen reinen Zügen
441Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.
442Jetzt erst erkenn’ ich was der Weise spricht:
443„Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;
444„Dein Sinn ist zu, dein Herz ist todt!
445„Auf bade, Schüler, unverdrossen,
446„Die ird’sche Brust im Morgenroth!“
∞Er beschaut das
Zeichen.
447Wie alles sich zum Ganzen webt,
448Eins in dem andern wirkt und lebt!
449Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen
450Und sich die goldnen Eimer reichen!
451Mit segenduftenden Schwingen
452Vom Himmel durch die Erde dringen,
454Welch Schauspiel! aber ach! ein
Schauspiel nur!
455Wo faß’ ich dich, unendliche Natur?
456Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
457An denen Himmel und Erde hängt,
458Dahin die welke Brust sich drängt –
459Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht’ ich so
vergebens?
∞Er schlägt
unwillig das Buch um, und erblickt das Zeichen
des Erdgeistes.
460Wie anders wirkt dieß Zeichen auf mich ein!
461Du, Geist der Erde, bist mir näher;
462Schon fühl’ ich meine Kräfte höher,
463Schon glüh’ ich wie von neuem Wein,
464Ich fühle Muth, mich in die Welt zu wagen,464 Muth, bis wagen, ] S A B.a Muth‸ bis wagen‸ 1 H.5
Muth‸ bis wagen, B
(IV c)
465Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,
466Mit Stürmen mich herumzuschlagen,
467Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen,
468Es wölkt sich über mir –
469Der Mond verbirgt sein Licht –
470Die Lampe schwindet!
471Es dampft! – Es zucken rothe Strahlen
472Mir um das Haupt – Es weht
473Ein Schauer vom Gewölb’ herab
474Und faßt mich an!
475Ich fühl’s, du schwebst um mich, erflehter Geist.
476Enthülle dich!
477Ha! wie’s in meinem Herzen reißt!
478Zu neuen Gefühlen
480Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!
∞Er faßt das Buch
und spricht das Zeichen des Geistes geheimnißvoll aus. Es zuckt
eine röthliche Flamme, der Geist
erscheint in der Flamme.
∞Geist
486Du flehst erathmend mich zu schauen,
487Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn,
488Mich neigt dein mächtig Seelenflehn,
489Da bin ich! – Welch erbärmlich Grauen
490Faßt Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?
491Wo ist die Brust? die eine Welt in sich erschuf,
492Und trug und hegte; die mit Freudebeben
493Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben.
494Wo bist du, Faust? deß Stimme mir erklang,
495Der sich an mich mit allen Kräften drang?
496Bist Du es? der, von
meinem Hauch umwittert,
497In allen Lebenstiefen zittert,
498Ein furchtsam weggekrümmter Wurm!
∞Geist
501In Lebensfluthen, im Thatensturm
502Wall’ ich auf und ab,
504Geburt und Grab,
505Ein ewiges Meer,
506Ein wechselnd Weben,
507Ein glühend Leben,
508So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit,
509Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
∞Verschwindet
∞Faust
∞zusammenstürzend
514Nicht dir!
515Wem denn?
516Ich Ebenbild der Gottheit!
517Und nicht einmal dir!
∞Es klopft.
518O Tod! ich kenn’s – das ist mein Famulus –
519Es wird mein schönstes Glück zu nichte!
520Daß diese Fülle der Gesichte
521Der trockne Schleicher stören muß!
∞Wagner im Schlafrocke und der
Nachtmütze, eine Lampe in der Hand. Faust wendet sich
unwillig.
∞Wagner
522Verzeiht! ich hör’ euch declamiren;
523Ihr las’t gewiß ein griechisch Trauerspiel?
525Denn heut zu Tage wirkt das viel.
526Ich hab’ es öfters rühmen hören,
527Ein Komödiant könnt’ einen Pfarrer lehren.
∞Wagner
530Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist,
531Und sieht die Welt kaum einen Feyertag,
532Kaum durch ein Fernglas, nur von weiten,
533Wie soll man sie durch Überredung leiten?
∞Faust
534Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen,
535Wenn es nicht aus der Seele dringt,
536Und mit urkräftigem Behagen
537Die Herzen aller Hörer zwingt.
538Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,
539Braut ein Ragout von andrer Schmaus,
540Und blas’t die kümmerlichen Flammen
541Aus eurem Aschenhäufchen ’raus!
542Bewund’rung von Kindern und Affen,
543Wenn euch darnach der Gaumen steht;
544Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
545Wenn es euch nicht von Herzen geht.
∞Faust
548Such’ Er den redlichen Gewinn!
549Sey er kein schellenlauter Thor!
550Es trägt Verstand und rechter Sinn
551Mit wenig Kunst sich selber vor;
552Und wenn’s euch Ernst ist was zu sagen,
553Ist’s nöthig Worten nachzujagen?
554Ja, eure Reden, die so blinkend sind,
555In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,
556Sind unerquicklich wie der Nebelwind,
557Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!
∞Wagner
558Ach Gott! die Kunst ist lang;
559Und kurz ist unser Leben.
560Mir wird, bey meinem kritischen Bestreben,
561Doch oft um Kopf und Busen bang’.
562Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
563Durch die man zu den Quellen steigt!
564Und eh’ man nur den halben Weg erreicht,
565Muß wohl ein armer Teufel sterben.
∞Faust
566Das Pergament, ist das der heilge Bronnen,566 Pergament, ] S A B.a Pergament‸ 1 H.5
Pergament‸ B
(IV c)566 heilge ] A heil’ge S
heil’ge B B.a
(IV a)
567Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
568Erquickung hast du nicht gewonnen,
569Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.
∞Wagner
570Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen,570–571 Ergetzen, bis versetzen; ] S A B.a Ergözzen‸ bis versezzen. 1 H.5
Ergetzen‸ bis versetzen, B
(IV c)
571Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;
572Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,572 schauen, ] S A B.a schauen‸ 1 H.5
schauen‸ B
(IV c)
573Und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.
∞Faust
574O ja, bis an die Sterne weit!
575Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
576Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
577Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
578Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
579In dem die Zeiten sich bespiegeln.
580Da ist’s dann wahrlich oft ein Jammer!
581Man läuft euch bey dem ersten Blick davon.
582Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer,
583Und höchstens eine Haupt- und Staatsaction,
584Mit trefflichen, pragmatischen Maximen,
585Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!
∞Faust
588Ja was man so erkennen heißt!
589Wer darf das Kind beym rechten Namen nennen?
590Die wenigen, die was davon erkannt,
591Die thöricht g’nug ihr volles Herz nicht wahrten,
592Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
593Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.593 gekreuzigt ] 1 H.5 S gekreutzigt A B 1 H.1 C.1 12
gekreuzigt B.a
gekreuzigt C.3 12
(II a)
594Ich bitt’ euch, Freund, es ist tief in der Nacht,
595Wir müssen’s dießmal unterbrechen.
∞Wagner
596Ich hätte gern nur immer fortgewacht,
597Um so gelehrt mit euch mich zu besprechen.
598Doch Morgen, als am ersten Ostertage,
599Erlaubt mir ein’ und andre Frage.
600Mit Eifer hab’ ich mich der Studien beflissen,
601Zwar weiß ich viel, doch möcht’ ich alles wissen.
∞ab
∞Faust
∞allein
602Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
603Der immerfort an schaalem Zeuge klebt,603 schaalem ] A schaalen 1 H.5
schalem S
schalem D.1 B B.a
(IV a)
604Mit gier’ger Hand nach Schätzen gräbt,
606Darf eine solche Menschenstimme
hier,
607Wo Geisterfülle mich umgab, ertönen?
608Doch ach! für dießmal dank’ ich dir,
609Dem ärmlichsten von allen Erdensöhnen.
610Du rissest mich von der Verzweiflung los,
611Die mir die Sinne schon zerstören wollte.
612Ach! die Erscheinung war so Riesen-groß,
613Daß ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.
614Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich
schon
615Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew’ger Wahrheit,
616Sein selbst genoß, in Himmelsglanz und Klarheit,
617Und abgestreift den Erdensohn;
618Ich, mehr als Cherub, dessen freye Kraft
619Schon durch die Adern der Natur zu fließen
620Und, schaffend, Götterleben zu genießen
622Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.
623Nicht darf ich dir zu gleichen mich
vermessen.
624Hab’ ich die Kraft dich anzuziehn besessen;
625So hatt’ ich dich zu halten keine Kraft.
626In jenem sel’gen Augenblicke
627Ich fühlte mich so klein, so groß,
628Du stießest grausam mich zurücke,
629Ins ungewisse Menschenloos.
630Wer lehret mich? was soll ich meiden?
631Soll ich gehorchen jenem Drang?
632Ach! unsre Thaten selbst, so gut als unsre
Leiden,
633Sie hemmen unsres Lebens Gang.
635Drängt immer fremd und fremder Stoff sich an;
636Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
637Dann heißt das Beßre Trug und Wahn.
638Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle
639Erstarren in dem irdischen Gewühle.
640Wenn Phantasie sich sonst, mit kühnem
Flug,
641Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,
642So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,
643Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.
644Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,
645Dort wirket sie geheime Schmerzen,
646Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh;
647Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,
648Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind
erscheinen,
649Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;
651Und was du nie verlierst das mußt du stets
beweinen.
652Den Göttern gleich’ ich nicht! zu
tief ist es gefühlt;
653Dem Wurme gleich’ ich, der den Staub durchwühlt;
654Den, wie er sich im Staube nährend lebt,
655Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.
656Ist es nicht Staub? was diese hohe
Wand,
657Aus hundert Fächern, mir verenget;
658Der Trödel, der mit tausendfachem Tand,
659In dieser Mottenwelt mich dränget?
660Hier soll ich finden was mir fehlt?
661Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen,
662Daß überall die Menschen sich gequält,
663Daß hie und da ein Glücklicher gewesen? –
664Was grinsest du mir hohler Schädel her?
665Als daß dein Hirn, wie meines, einst verwirret,
666Den leichten Tag gesucht und in der Dämmrung schwer,666 leichten ] A B B.a mon Gö 1 H.1 leichten C.1 12 C.3 12
lichten konj Hartung (III *)
667Mit Lust nach Wahrheit, jämmerlich geirret.
668Ihr Instrumente freylich, spottet mein,
669Mit Rad und Kämmen, Walz’ und Bügel.
670Ich stand am Thor, ihr solltet Schlüssel seyn;
671Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die
Riegel.
672Geheimnißvoll am lichten Tag
673Läßt sich Natur des Schleyers nicht berauben,
674Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,
675Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit
Schrauben.
676Du alt Geräthe das ich nicht gebraucht,
677Du stehst nur hier, weil dich mein Vater
brauchte.
678Du alte Rolle, du wirst angeraucht,
679So lang an diesem Pult die trübe Lampe
schmauchte.
682Was du ererbt von deinen Vätern hast
684Was man nicht nützt ist eine schwere Last,
686Doch warum heftet sich mein Blick auf
jene Stelle?
687Ist jenes Fläschchen dort den Augen ein Magnet?
688Warum wird mir auf einmal lieblich helle?
689Als wenn im nächt’gen Wald uns Mondenglanz
umweht.
690Ich grüße dich, du einzige
Phiole!
691Die ich mit Andacht nun herunterhole,
692In dir verehr’ ich Menschenwitz und Kunst.
693Du Inbegriff der holden Schlummersäfte,
694Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte,
695Erweise deinem Meister deine Gunst!
696Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert,
697Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,
698Des Geistes Fluthstrom ebbet nach und nach.
699Ins hohe Meer werd’ ich hinausgewiesen,
700Die Spiegelfluth erglänzt zu meinen Füßen,
701Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.
702Ein Feuerwagen schwebt, auf leichten
Schwingen,
703An mich heran! Ich fühle mich bereit
704Auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen,
705Zu neuen Sphären reiner Thätigkeit.
706Dieß hohe Leben, diese Götterwonne!
707Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?
708Ja, kehre nur der holden Erdensonne
709Entschlossen deinen Rücken zu!
710Vermesse dich die Pforten aufzureißen,
712Hier ist es Zeit durch Thaten zu beweisen,
713Daß Mannes-Würde nicht der Götterhöhe weicht,
714Vor jener dunkeln Höhle nicht zu beben,
715In der sich Phantasie zu eigner Quaal verdammt,
716Nach jenem Durchgang hinzustreben,
717Um dessen engen Mund die ganze Hölle flammt;
718Zu diesem Schritt sich heiter zu entschließen
721Hervor aus deinem alten Futterale,
722An die ich viele Jahre nicht gedacht.
723Du glänztest bey der Väter Freudenfeste,
724Erheitertest die ernsten Gäste,
725Wenn einer dich dem andern zugebracht.
726Der vielen Bilder künstlich reiche Pracht,
727Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklären,
728Auf Einen Zug die Höhlung auszuleeren,
729Erinnert mich an manche Jugend-Nacht,
730Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,
731Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht
zeigen,
732Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht.
734Den ich bereitet, den ich wähle,
735Der letzte Trunk sey nun, mit ganzer Seele,
736Als festlich hoher Gruß, dem Morgen zugebracht!
∞Er setzt die Schale an den
Mund.
∞Chor der
Engel
∞Faust
742Welch tiefes Summen, welch ein heller Ton,
743Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?
744Verkündiget ihr dumpfen Glocken schon
745Des Osterfestes erste Feyerstunde?
746Ihr Chöre singt ihr schon den tröstlichen Gesang?
747Der einst, um Grabes Nacht, von Engelslippen klang,
748Gewißheit einem neuen Bunde.
∞Chor der
Weiber
∞Chor der
Engel
∞Faust
762Was sucht ihr, mächtig und gelind,
764Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.
765Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der
Glaube;
766Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.
767Zu jenen Sphären wag’ ich nicht zu streben,
768Woher die holde Nachricht tönt;
769Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,
770Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.
771Sonst stürzte sich der Himmels-Liebe Kuß
772Auf mich herab, in ernster Sabathstille;
773Da klang so ahndungsvoll des Glockentones Fülle,773 ahndungsvoll ] A J.2 ahnungsvoll B B.a
(IV a)
774Und ein Gebet war brünstiger Genuß;
775Ein unbegreiflich holdes Sehnen
776Trieb mich durch Wald und Wiesen hinzugehn,
777Und unter tausend heißen Thränen,
778Fühlt’ ich mir eine Welt entstehn.
779Dieß Lied verkündete der Jugend muntre Spiele,
780Der Frühlingsfeyer freyes Glück;
781Erinnrung hält mich nun, mit kindlichem Gefühle,
782Vom letzten, ernsten Schritt zurück.
783O! tönet fort ihr süßen Himmelslieder!
784Die Thräne quillt, die Erde hat mich wieder!
∞Chor der
Jünger
∞
∞Vor dem Thor
∞Spaziergänger aller Art ziehen hinaus
∞Vierter
814Nach Burgdorf kommt herauf, gewiß dort findet ihr
815Die schönsten Mädchen und das beste Bier,
816Und Händel von der ersten Sorte.
∞Fünfter
817Du überlustiger Gesell,
818Juckt dich zum drittenmal das Fell?
819Ich mag nicht hin, mir graut es vor dem Orte.
∞Erste
822Das ist für mich kein großes Glück;
823Er wird an deiner Seite gehen,
824Mit dir nur tanzt er auf dem Plan.
825Was gehn mich deine Freuden an!
∞Schüler
828Blitz wie die wackern Dirnen schreiten!
829Herr Bruder komm! wir müssen sie begleiten.
830Ein starkes Bier, ein beizender Toback,
831Und eine Magd im Putz das ist nun mein Geschmack.
∞Bürgermädchen
832Da sieh mir nur die schönen Knaben!
833Es ist wahrhaftig eine Schmach,
834Gesellschaft könnten sie die allerbeste haben,
835Und laufen diesen Mägden nach!
∞Zweyter
Schüler
∞zum ersten
836Nicht so geschwind! dort hinten kommen zwey,
837Sie sind gar niedlich angezogen,
838’s ist meine Nachbarin dabey;
839Ich bin dem Mädchen sehr gewogen.
840Sie gehen ihren stillen Schritt
841Und nehmen uns doch auch am Ende mit.
∞Erster
842Herr Bruder nein! Ich bin nicht gern genirt.
843Geschwind! daß wir das Wildpret nicht verlieren.
844Die Hand, die Samstags ihren Besen führt,
∞Bürger
846Nein, er gefällt mir nicht der neue Burgemeister!
847Nun, da er’s ist, wird er nur täglich dreister.
848Und für die Stadt was thut denn er?
849Wird es nicht alle Tage schlimmer?
850Gehorchen soll man mehr als immer,
851Und zahlen mehr als je vorher.
∞Bettler
∞singt
852Ihr guten Herrn, ihr schönen Frauen,852–859 Die Verse sind in allen Drucken nicht eingerückt; in Q wurden sie ebenso wie die Verse 949–980 eingerückt. (VII)
853So wohlgeputzt und backenroth,
854Belieb’ es euch mich anzuschauen,
855Und seht und mildert meine Noth!
856Laßt hier mich nicht vergebens leyern!
857Nur der ist froh, der geben mag.
858Ein Tag den alle Menschen feyern,
∞Andrer
Bürger
860Nichts bessers weiß ich mir an Sonn- und Feyertagen,
861Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrey,
862Wenn hinten, weit, in der Türkey,
863Die Völker auf einander schlagen.
864Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
865Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
866Dann kehrt man Abends froh nach Haus,
867Und segnet Fried’ und Friedenszeiten.
∞Dritter
Bürger
868Herr Nachbar, ja! so laß ich’s auch geschehn,
869Sie mögen sich die Köpfe spalten,
870Mag alles durch einander gehn;
871Doch nur zu Hause bleib’s beym Alten.
∞Alte
∞zu den
Bürgermädchen
872Ey! wie geputzt! das schöne junge Blut!
873Wer soll sich nicht in euch vergaffen? –
874Nur nicht so stolz! es ist schon gut!
875Und was ihr wünscht das wüßt’ ich wohl zu schaffen.
∞Bürgermädchen
876Agathe fort! ich nehme mich in Acht
877Mit solchen Hexen öffentlich zu gehen;
878Sie ließ mich zwar, in Sanct Andreas Nacht,
∞Die
Andre
880Mir zeigte sie ihn im Krystall,
881Soldatenhaft, mit mehreren Verwegnen;
882Ich seh’ mich um, ich such’ ihn überall,
883Allein mir will er nicht begegnen.
∞Soldaten
∞Faust
903Vom Eise befreyt sind Strom und Bäche,
904Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
905Im Thale grünet Hoffnungs-Glück;
906Der alte Winter, in seiner Schwäche,
907Zog sich in rauhe Berge zurück.
908Von dorther sendet er, fliehend, nur
909Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
910In Streifen über die grünende Flur;
911Aber die Sonne duldet kein Weißes,
912Überall regt sich Bildung und Streben,
913Alles will sie mit Farben beleben;
915Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
916Kehre dich um, von diesen Höhen
917Nach der Stadt zurück zu sehen.
918Aus dem hohlen finstren Thor
919Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
920Jeder sonnt sich heute so gern.
921Sie feyern die Auferstehung des Herrn,
922Denn sie sind selber auferstanden,
923Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
924Aus Handwerks- und Gewerbes Banden,
925Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
926Aus der Straßen quetschender Enge,
927Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
928Sind sie alle ans Licht gebracht.
929Sieh nur sieh! wie behend sich die Menge
930Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
931Wie der Fluß, in Breit’ und Länge,
932So manchen lustigen Nachen bewegt,
933Und, bis zum Sinken überladen,
934Entfernt sich dieser letzte Kahn.
935Selbst von des Berges fernen Pfaden
936Blinken uns farbige Kleider an.
937Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
938Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
939Zufrieden jauchzet groß und klein:
940Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s seyn.
∞Wagner
941Mit euch, Herr Doctor, zu spazieren
942Ist ehrenvoll und ist Gewinn;
943Doch würd’ ich nicht allein mich her verlieren,
944Weil ich ein Feind von allem Rohen bin.
945Das Fiedeln, Schreien, Kegelschieben,
946Ist mir ein gar verhaßter Klang;
947Sie toben wie vom bösen Geist getrieben
948Und nennen’s Freude, nennen’s Gesang.
∞Bauern
∞unter der Linde
∞Tanz und
Gesang
949Der Schäfer putzte sich zum Tanz,949–980
nicht eingerückt A
B
B.a
1 H.1
C.1 12
C.3 12 eingerückt Q
(VII)
950Mit bunter Jacke, Band und Kranz,
951Schmuck war er angezogen.
952Schon um die Linde war es voll
953Und alles tanzte schon wie toll.
954Juchhe! Juchhe!
955Juchheisa! Heisa! He!
956So ging der Fiedelbogen.
957Er drückte hastig sich heran,
959Mit seinem Ellenbogen;
960Die frische Dirne kehrt sich um
961Und sagte: nun das find’ ich dumm!
962Juchhe! Juchhe!
963Juchheisa! Heisa! He!
964Seyd nicht so ungezogen.
965Doch hurtig in dem Kreise ging’s,
967Und alle Röcke flogen.
968Sie wurden roth, sie wurden warm
969Und ruhten athmend Arm in Arm,
970Juchhe! Juchhe!
971Juchheisa! Heisa! He!
972Und Hüft’ an Ellenbogen.
∞Alter
Bauer
981Herr Doctor, das ist schön von euch,
982Daß ihr uns heute nicht verschmäht,
983Und unter dieses Volksgedräng’,
984Als ein so Hochgelahrter, geht.
985So nehmet auch den schönsten Krug,
986Den wir mit frischem Trunk gefüllt,
987Ich bring’ ihn zu und wünsche laut,
988Daß er nicht nur den Durst euch stillt;988 stillt; ] Das Semikolon fehlt in manchen Exemplaren von
A. (VII)
989Die Zahl der Tropfen, die er hegt,
990Sey euren Tagen zugelegt.
∞
Das Volk sammelt sich im Kreis
umher
∞Alter
Bauer
993Fürwahr es ist sehr wohl gethan,
994Daß ihr am frohen Tag erscheint;
995Habt ihr es vormals doch mit uns
997Gar mancher steht lebendig hier,
998Den euer Vater noch zuletzt
999Der heißen Fieberwuth entriß,
1000Als er der Seuche Ziel gesetzt.
1001Auch damals ihr, ein junger Mann,
1002Ihr gingt in jedes Krankenhaus,
1003Gar manche Leiche trug man fort,
1004Ihr aber kamt gesund heraus,
1005Bestandet manche harte Proben;
1006Dem Helfer half der Helfer droben.
∞Er geht mit Wagnern
weiter.
∞Wagner
1011Welch ein Gefühl mußt du, o großer Mann!
1012Bey der Verehrung dieser Menge haben!
1013O! glücklich! wer von seinen Gaben
1014Solch einen Vortheil ziehen kann.
1015Der Vater zeigt dich seinem Knaben,
1016Ein jeder fragt und drängt und eilt,
1017Die Fiedel stockt, der Tänzer weilt.
1018Du gehst, in Reihen stehen sie,
1019Die Mützen fliegen in die Höh’;
1020Und wenig fehlt, so beugten sich die Knie,
1021Als käm’ das Venerabile.
∞Faust
1022Nur wenig Schritte noch hinauf zu jenem Stein,
1023Hier wollen wir von unsrer Wandrung rasten.
1024Hier saß ich oft gedankenvoll allein
1025Und quälte mich mit Beten und mit Fasten.
1026An Hoffnung reich, im Glauben fest,
1027Mit Thränen, Seufzen, Händeringen
1028Dacht’ ich das Ende jener Pest
1029Vom Herrn des Himmels zu erzwingen.
1030Der Menge Beyfall tönt mir nun wie Hohn.
1031O könntest du in meinem Innern lesen,
1032Wie wenig Vater und Sohn
1033Solch eines Ruhmes werth gewesen!
1034Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,
1035Der über die Natur und ihre heilgen Kreise,
1036In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,
1037Mit grillenhafter Mühe sann.
1038Der, in Gesellschaft von Adepten,
1039Sich in die schwarze Küche schloß,
1040Und, nach unendlichen Recepten,
1041Das Widrige zusammengoß.
1042Da ward ein rother Leu, ein kühner Freyer,
1043Im lauen Bad, der Lilie vermählt
1044Und beyde dann, mit offnem Flammenfeuer,
1045Aus einem Brautgemach ins andere gequält.
1046Erschien darauf, mit bunten Farben,
1047Die junge Königin im Glas,
1048Hier war die Arzeney, die Patienten starben,
1049Und niemand fragte: wer genas?
1050So haben wir, mit höllischen Latwergen,
1051In diesen Thälern, diesen Bergen,
1052Weit schlimmer als die Pest getobt.
1053Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben,
1054Sie welkten hin, ich muß erleben
1055Daß man die frechen Mörder lobt.
∞Wagner
1056Wie könnt ihr euch darum betrüben!
1057Thut nicht ein braver Mann genug;
1058Die Kunst, die man ihm übertrug,
1059Gewissenhaft und pünctlich auszuüben.
1060Wenn du, als Jüngling, deinen Vater ehrst,
1061So wirst du gern von ihm empfangen;
1062Wenn du, als Mann, die Wissenschaft vermehrst,
1063So kann dein Sohn zu höhrem Ziel gelangen.
∞Faust
1064O! glücklich! wer noch hoffen kann
1065Aus diesem Meer des Irrthums aufzutauchen.
1066Was man nicht weiß das eben brauchte man,
1067Und was man weiß kann man nicht brauchen.
1068Doch laß uns dieser Stunde schönes Gut,
1069Durch solchen Trübsinn, nicht verkümmern!
1070Betrachte wie, in Abendsonne-Glut,
1071Die grünumgebnen Hütten schimmern.
1072Sie rückt und weicht, der Tag ist überlebt,
1073Dort eilt sie hin und fördert neues Leben.
1074O! daß kein Flügel mich vom Boden hebt,
1075Ihr nach und immer nach zu streben.
1076Ich säh’ im ewigen Abendstrahl
1077Die stille Welt zu meinen Füßen,
1078Entzündet alle Höhn, beruhigt jedes Thal,
1079Den Silberbach in goldne Ströme fließen.
1080Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf
1081Der wilde Berg mit allen seinen Schluchten;
1082Schon thut das Meer sich mit erwärmten Buchten
1083Vor den erstaunten Augen auf.
1085Allein der neue Trieb erwacht,
1086Ich eile fort ihr ew’ges Licht zu trinken,
1087Vor mir den Tag, und hinter mir die Nacht,
1088Den Himmel über mir und unter mir die Wellen.
1089Ein schöner Traum, indessen sie entweicht.
1090Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht
1091Kein körperlicher Flügel sich gesellen.
1093Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,
1094Wenn über uns, im blauen Raum verloren,
1095Ihr schmetternd Lied die Lerche singt;
1096Wenn über schroffen Fichtenhöhen
1097Der Adler ausgebreitet schwebt,
1098Und über Flächen, über Seen,
1099Der Kranich nach der Heimat strebt.
∞Wagner
1100Ich hatte selbst oft grillenhafte Stunden,
1101Doch solchen Trieb hab’ ich noch nie empfunden.
1102Man sieht sich leicht an Wald und Feldern satt,
1103Des Vogels Fittig werd’ ich nie beneiden.
1104Wie anders tragen uns die Geistesfreuden,
1105Von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt!
1106Da werden Winternächte hold und schön,
1107Ein selig Leben wärmet alle Glieder,
1108Und ach! entrollst du gar ein würdig Pergamen;
1109So steigt der ganze Himmel zu dir nieder.
∞Faust
1110Du bist dir nur des einen Triebs bewußt,
1111O lerne nie den andern kennen!
1112Zwey Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
1113Die eine will sich von der andern trennen;
1114Die eine hält, in derber Liebeslust,
1115Sich an die Welt, mit klammernden Organen;
1116Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust,
1117Zu den Gefilden hoher Ahnen.
1118O giebt es Geister in der Luft,
1119Die zwischen Erd’ und Himmel herrschend weben,
1120So steiget nieder aus dem goldnen Duft
1121Und führt mich weg, zu neuem buntem Leben!
1122Ja, wäre nur ein Zaubermantel mein!
1123Und trüg’ er mich in fremde Länder,
1124Mir sollt’ er, um die köstlichsten Gewänder,
1125Nicht feil um einen Königsmantel seyn.
∞Wagner
1126Berufe nicht die wohlbekannte Schaar,
1127Die, strömend, sich im Dunstkreis überbreitet,
1128Dem Menschen tausendfältige Gefahr,
1129Von allen Enden her, bereitet.
1130Von Norden dringt der scharfe Geisterzahn
1131Auf dich herbey, mit pfeilgespitzten Zungen;
1132Von Morgen ziehn, vertrocknend, sie heran,
1133Und nähren sich von deinen Lungen;
1134Wenn sie der Mittag aus der Wüste schickt,
1135Die Glut auf Glut um deinen Scheitel häufen,
1136So bringt der West den Schwarm, der erst erquickt,
1137Um dich und Feld und Aue zu ersäufen.
1138Sie hören gern, zum Schaden froh gewandt,
1139Gehorchen gern, weil sie uns gern betrügen,
1140Sie stellen wie vom Himmel sich gesandt,
1141Und lispeln englisch, wenn sie lügen.
1142Doch gehen wir! ergraut ist schon die Welt,
1143Die Luft gekühlt, der Nebel fällt!
1144Am Abend schätzt man erst das Haus. –
1145Was stehst du so und blickst erstaunt hinaus?
1146Was kann dich in der Dämmrung so ergreifen?
∞Faust
1152Bemerkst du, wie in weitem Schneckenkreise
1153Er um uns her und immer näher jagt?
1154Und irr’ ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel
1155Auf seinen Pfaden hinterdrein.
∞Wagner
1156Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel,
1157Es mag bey euch wohl Augentäuschung seyn.
∞Wagner
1160Ich seh’ ihn ungewiß und furchtsam uns umspringen,
1161Weil er, statt seines Herrn, zwey Unbekannte sieht.
∞Wagner
1163Du siehst! ein Hund, und kein Gespenst ist da.
1164Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch,
1165Er wedelt. Alles Hunde Brauch.
∞Wagner
1167Es ist ein pudelnärrisch Thier.
1168Du stehest still, er wartet auf;
1169Du sprichst ihn an, er strebt an dir hinauf;
1170Verliere was, er wird es bringen,
1171Nach deinem Stock ins Wasser springen.
∞Wagner
1174Dem Hunde, wenn er gut gezogen,
1175Wird selbst ein weiser Mann gewogen.
1176Ja deine Gunst verdient er ganz und gar
1177Er, der Studenten trefflicher Scolar.
∞Sie gehen in das
Stadt-Thor.
∞
∞Studirzimmer
∞Faust
∞mit dem
Pudel
hereintretend
1178Verlassen hab’ ich Feld und Auen,
1179Die eine tiefe Nacht bedeckt,
1181In uns die bessre Seele weckt.
1182Entschlafen sind nun wilde Triebe,
1183Mit jedem ungestümen Thun;
1184Es reget sich die Menschenliebe,
1185Die Liebe Gottes regt sich nun.
1186Sey ruhig Pudel! renne nicht hin und wieder!
1188Lege dich hinter den Ofen nieder,
1189Mein bestes Kissen geb’ ich dir.
1190Wie du draußen auf dem bergigen Wege,
1191Durch Rennen und Springen, ergetzt uns hast,
1192So nimm nun auch von mir die Pflege,
1193Als ein willkommner stiller Gast.
1194Ach wenn in unsrer engen Zelle
1195Die Lampe freundlich wieder brennt,
1196Dann wird’s in unserm Busen helle,
1197Im Herzen, das sich selber kennt.
1198Vernunft fängt wieder an zu sprechen,
1199Und Hoffnung wieder an zu blühn,
1200Man sehnt sich nach des Lebens Bächen,
1201Ach! nach des Lebens Quelle hin.
1202Knurre nicht Pudel! Zu den heiligen Tönen,
1203Die jetzt meine ganze Seel’ umfassen,
1204Will der thierische Laut nicht passen.
1205Wir sind gewohnt, daß die Menschen verhöhnen
1206Was sie nicht verstehn,
1207Daß sie vor dem Guten und Schönen,
1208Das ihnen oft beschwerlich ist, murren;
1209Will es der Hund, wie sie, beknurren?
1210Aber ach! schon fühl’ ich, bey dem besten
Willen,
1211Befriedigung nicht mehr aus dem Busen quillen.
1212Aber warum muß der Strom so bald versiegen,
1213Und wir wieder im Durste liegen?
1214Davon hab’ ich so viel Erfahrung.
1215Doch dieser Mangel läßt sich ersetzen,
1216Wir lernen das Überirdische schätzen,
1217Wir sehnen uns nach Offenbarung,
1218Die nirgends würd’ger und schöner brennt,
1219Als in dem neuen Testament.
1220Mich drängt’s den Grundtext aufzuschlagen,
1221Mit redlichem Gefühl einmal
1222Das heilige Original
1223In mein geliebtes Deutsch zu übertragen.
∞Er schlägt ein
Volum auf und schickt sich an.
1224Geschrieben steht: „im Anfang war das Wort!“
1225Hier stock’ ich schon! Wer hilft mir weiter
fort?
1226Ich kann das Wort
so hoch unmöglich schätzen,
1227Ich muß es anders übersetzen,
1228Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
1229Geschrieben steht: im Anfang war der Sinn.
1230Bedenke wohl die erste Zeile,
1231Daß deine Feder sich nicht übereile!
1233Es sollte stehn: im Anfang war die Kraft!
1234Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
1235Schon warnt mich was, daß ich dabey nicht
bleibe.
1236Mir hilft der Geist! auf einmal seh’ ich Rath
1237Und schreibe getrost: im Anfang war die That!
1238Soll ich mit dir das Zimmer theilen,
1239Pudel, so laß das Heulen,
1240So laß das Bellen!
1241Solch einen störenden Gesellen
1242Mag ich nicht in der Nähe leiden.
1243Einer von uns beyden
1244Muß die Zelle meiden.
1245Ungern heb’ ich das Gastrecht auf,
1246Die Thür’ ist offen, hast freyen Lauf.
1247Aber was muß ich sehen!
1248Kann das natürlich geschehen?
1249Ist es Schatten? ist’s Wirklichkeit?
1250Wie wird mein Pudel lang und breit!
1251Er hebt sich mit Gewalt,
1252Das ist nicht eines Hundes Gestalt!
1253Welch ein Gespenst bracht’ ich ins Haus!
1254Schon sieht er wie ein Nilpferd aus,
1255Mit feurigen Augen, schrecklichem Gebiß.
1256O! du bist mir gewiß!
1257Für solche halbe Höllenbrut
1258Ist Salomonis Schlüssel gut.
∞Geister
∞auf dem Gange
1259Drinnen gefangen ist einer!
1260Bleibet haußen, folg’ ihm keiner!
1261Wie im Eisen der Fuchs,
1262Zagt ein alter Höllenluchs.
1263Aber gebt Acht!
1264Schwebet hin, schwebet wieder,
1265Auf und nieder,
1266Und er hat sich losgemacht.
1267Könnt ihr ihm nützen,
1268Laßt ihn nicht sitzen!
1269Denn er that uns allen
1270Schon viel zu Gefallen.
∞Faust
1277Wer sie nicht kennte
1278Die Elemente,
1279Ihre Kraft
1280Und Eigenschaft,
1281Wäre kein Meister
1282Über die Geister.
1283Verschwind’ in Flammen
1284Salamander!
1285Rauschend fließe zusammen
1286Undene!
1287Leucht’ in Meteoren-Schöne
1288Silphe!
1290
Incubus! incubus!
1291Tritt hervor und mache den Schluß.
1292Keines der Viere
1293Steckt in dem Thiere.
1294Es liegt ganz ruhig und grins’t mich an,
1295Ich hab’ ihm noch nicht weh gethan.
1296Du sollst mich hören
1297Stärker beschwören.
1298Bist du Geselle
1299Ein Flüchtling der Hölle?
1300So sieh dies Zeichen!
1301Dem sie sich beugen
1302Die schwarzen Schaaren.
1303Schon schwillt es auf mit borstigen Haaren.
1310Hinter den Ofen gebannt
1311Schwillt es wie ein Elephant,
1312Den ganzen Raum füllt es an,
1313Es will zum Nebel zerfließen.
1314Steige nicht zur Decke hinan!
1315Lege dich zu des Meisters Füßen!
1316Du siehst daß ich nicht vergebens drohe.
1317Ich versenge dich mit heiliger Lohe!
1318Erwarte nicht
1319Das dreymal glühende Licht!
1320Erwarte nicht
1321Die stärkste von meinen Künsten!
∞Mephistopheles
∞tritt, indem der
Nebel fällt, gekleidet wie ein fahrender
Scholastikus, hinter dem Ofen hervor
1322Wozu der Lärm? was steht dem Herrn zu Diensten?
∞Mephistopheles
1328Für einen der das Wort so sehr verachtet,
1329Der, weit entfernt von allem Schein,
1330Nur in der Wesen Tiefe trachtet.
∞Faust
1331Bey euch, ihr Herrn, kann man das Wesen
1332Gewöhnlich aus dem Namen lesen,
1333Wo es sich allzudeutlich weis’t,
1334Wenn man euch Fliegengott, Verderber, Lügner heißt.
1335Nun gut wer bist du denn?
∞Mephistopheles
1335Ein Theil von jener Kraft,
1336Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.
∞Mephistopheles
1338Ich bin der Geist der stets verneint!
1339Und das mit Recht; denn alles was entsteht
1340Ist werth daß es zu Grunde geht;
1341Drum besser wär’s daß nichts entstünde.
1342So ist denn alles was ihr Sünde,
1343Zerstörung, kurz das Böse nennt,
1344Mein eigentliches Element.
∞Mephistopheles
1346Bescheidne Wahrheit sprech’ ich dir.
1347Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt,
1348Gewöhnlich für ein Ganzes hält;
1349Ich bin ein Theil des Theils, der Anfangs alles war,
1350Ein Theil der Finsterniß, die sich das Licht gebar,
1351Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
1352Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht,
1353Und doch gelingt’s ihm nicht, da es, so viel es
strebt,
1354Verhaftet an den Körpern klebt.
1355Von Körpern strömt’s, die Körper macht es schön,
1356Ein Körper hemmt’s auf seinem Gange,
1357So, hoff’ ich, dauert es nicht lange
1358Und mit den Körpern wird’s zu Grunde gehn.
∞Faust
1359Nun kenn’ ich deine würd’gen Pflichten!
1360Du kannst im Großen nichts vernichten
1361Und fängst es nun im Kleinen an.
∞Mephistopheles
1362Und freylich ist nicht viel damit gethan.
1363Was sich dem Nichts entgegenstellt,
1364Das Etwas, diese plumpe Welt,
1365So viel als ich schon unternommen
1366Ich wußte nicht ihr beyzukommen,
1367Mit Wellen, Stürmen, Schütteln, Brand,
1368Geruhig bleibt am Ende Meer und Land!
1369Und dem verdammten Zeug, der Thier- und
Menschenbrut,
1370Dem ist nun gar nichts anzuhaben,
1371Wie viele hab’ ich schon begraben!
1372Und immer zirkulirt ein neues, frisches Blut.
1373So geht es fort, man möchte rasend werden!
1374Der Luft, dem Wasser, wie der Erden
1375Entwinden tausend Keime sich,
1376Im Trocknen, Feuchten, Warmen, Kalten!
1377Hätt’ ich mir nicht die Flamme vorbehalten;
1378Ich hätte nichts apart’s für mich.
∞Faust
1379So setzest du der ewig regen,
1380Der heilsam schaffenden Gewalt
1381Die kalte Teufelsfaust entgegen,
1382Die sich vergebens tückisch ballt!
1383Was anders suche zu beginnen
1384Des Chaos wunderlicher Sohn!
∞Mephistopheles
1385Wir wollen wirklich uns besinnen,
1386Die nächstenmale mehr davon!
1387Dürft’ ich wohl diesmal mich entfernen?
∞Faust
1388Ich sehe nicht warum du fragst.
1389Ich habe jetzt dich kennen lernen,
1390Besuche nun mich wie du magst.
1391Hier ist das Fenster, hier die Thüre,
1392Ein Rauchfang ist dir auch gewiß.
∞Faust
1396Das Pentagramma macht dir Pein?
1397Ey sage mir, du Sohn der Hölle,
1398Wenn das dich bannt, wie kamst du denn herein?
1399Wie ward ein solcher Geist betrogen?
∞Mephistopheles
1400Beschaut es recht! es ist nicht gut gezogen;
1401Der eine Winkel, der nach außen zu,
1402Ist, wie du siehst, ein wenig offen.
∞Faust
1403Das hat der Zufall gut getroffen!
1404Und mein Gefangner wärst denn du?
1405Das ist von ohngefähr gelungen!
∞Mephistopheles
1406Der Pudel merkte nichts als er hereingesprungen,
1407Die Sache sieht jetzt anders aus;
1408Der Teufel kann nicht aus dem Haus.
∞Mephistopheles
1410’s ist ein Gesetz der Teufel und Gespenster:
1411Wo sie hereingeschlüpft, da müssen sie hinaus.
1412Das erste steht uns frey, beym zweyten sind wir
Knechte.
∞Faust
1413Die Hölle selbst hat ihre Rechte?
1414Das find’ ich gut, da ließe sich ein Packt,
1415Und sicher wohl, mit euch ihr Herren schließen?
∞Mephistopheles
1416Was man verspricht, das sollst du rein genießen,
1417Dir wird davon nichts abgezwackt.
1418Doch das ist nicht so kurz zu fassen,
1419Und wir besprechen das zunächst;
1420Doch jetzo bitt’ ich, hoch und höchst,
1421Für diesesmal mich zu entlassen.
∞Mephistopheles
1424Jetzt laß mich los! ich komme bald zurück,
1425Dann magst du nach Belieben fragen.
∞Faust
1426Ich habe dir nicht nachgestellt,
1427Bist du doch selbst ins Garn gegangen.
1428Den Teufel halte wer ihn hält!
1429Er wird ihn nicht sobald zum zweytenmale fangen.
∞Mephistopheles
1430Wenn dir’s beliebt, so bin ich auch bereit
1431Dir zur Gesellschaft hier zu bleiben;
1432Doch mit Bedingniß, dir die Zeit,
1433Durch meine Künste, würdig zu vertreiben.
∞Mephistopheles
1436Du wirst, mein Freund, für deine Sinnen,
1437In dieser Stunde mehr gewinnen,
1438Als in des Jahres Einerley.
1439Was dir die zarten Geister singen,
1440Die schönen Bilder die sie bringen,
1441Sind nicht ein leeres Zauberspiel.
1442Auch dein Geruch wird sich ergetzen,
1443Dann wirst du deinen Gaumen letzen,
1444Und dann entzückt sich dein Gefühl.
1445Bereitung braucht es nicht voran,
1446Beysammen sind wir, fanget an!
∞Geister
1447Schwindet ihr dunkeln
1448Wölbungen droben!
1449Reizender schaue,
1450Freundlich, der blaue
1451Äther herein!
1452Wären die dunkeln
1453Wolken zerronnen!
1454Sternelein funkeln,
1455Mildere Sonnen
1456Scheinen darein.
1457Himmlischer Söhne
1458Geistige Schöne,
1459Schwankende Beugung
1460Schwebet vorüber.
1461Sehnende Neigung
1462Folget hinüber;
1463Und der Gewänder
1464Flatternde Bänder
1465Decken die Länder,
1466Decken die Laube,
1467Wo sich für’s Leben,
1468Tief in Gedanken,
1469Liebende geben.
1470Laube bey Laube!
1471Sprossende Ranken!
1472Lastende Traube
1473Stürzt in’s Behälter
1474Drängender Kelter,
1475Stürzen in Bächen
1476Schäumende Weine,
1477Rieseln durch reine,
1478Edle Gesteine,
1479Lassen die Höhen
1480Hinter sich liegen,
1481Breiten zu Seen
1482Sich ums Genügen
1483Grünender Hügel.
1484Und das Geflügel
1485Schlürfet sich Wonne,
1486Flieget der Sonne,
1487Flieget den hellen
1488Inseln entgegen,
1489Die sich auf Wellen
1490Gauklend bewegen;
1491Wo wir in Chören
1492Jauchzende hören,
1493Über den Auen
1494Tanzende schauen,
1495Die sich im Freyen
1496Alle zerstreuen.
1498Über die Höhen,
1499Andere schwimmen
1500Über die Seen,
1501Andere schweben;
1502Alle zum Leben,
1503Alle zur Ferne
1504Liebender Sterne
1505Seliger Huld.
∞Mephistopheles
1506Er schläft! So recht, ihr luft’gen, zarten
Jungen!
1507Ihr habt ihn treulich eingesungen!
1508Für dies Concert bin ich in eurer Schuld.
1509Du bist noch nicht der Mann den Teufel fest zu
halten!
1510Umgaukelt ihn mit süßen Traumgestalten,
1511Versenkt ihn in ein Meer des Wahns;
1512Doch dieser Schwelle Zauber zu zerspalten
1513Bedarf ich eines Rattenzahns.
1514Nicht lange brauch’ ich zu beschwören,
1515Schon raschelt eine hier und wird sogleich mich
hören.
1516Der Herr der Ratten und der
Mäuse,
1517Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse,
1518Befiehlt dir dich hervor zu wagen
1519Und diese Schwelle zu benagen,
1520So wie er sie mit Öl betupft –
1521Da kommst du schon hervorgehupft!
1522Nur frisch ans Werk! Die Spitze, die mich
bannte,
1523Sie sitzt ganz vornen an der Kante.
1524Noch einen Biß, so ist’s geschehn. –
1525Nun Fauste träume fort, bis wir uns wiedersehn.
∞
∞Studirzimmer
∞Faust.
Mephistopheles
∞Mephistopheles
1532So gefällst du mir.
1533Wir werden, hoff’ ich, uns vertragen;
1534Denn dir die Grillen zu verjagen
1535Bin ich, als edler Junker, hier,
1536In rothem goldverbrämten Kleide,
1537Das Mäntelchen von starrer Seide,
1538Die Hahnenfeder auf dem Hut,
1539Mit einem langen, spitzen Degen,
1540Und rathe nun dir, kurz und gut,
1541Dergleichen gleichfalls anzulegen;
1542Damit du, losgebunden, frey,
1543Erfahrest was das Leben sey.
∞Faust
1544In jedem Kleide werd’ ich wohl die Pein
1545Des engen Erdelebens fühlen.
1546Ich bin zu alt, um nur zu spielen,
1547Zu jung, um ohne Wunsch zu seyn.
1548Was kann die Welt mir wohl gewähren?
1549Entbehren sollst du! sollst entbehren!
1550Das ist der ewige Gesang,
1551Der jedem an die Ohren klingt,
1552Den, unser ganzes Leben lang,
1553Uns heiser jede Stunde singt.
1554Nur mit Entsetzen wach’ ich Morgens auf,
1555Ich möchte bittre Thränen weinen,
1556Den Tag zu sehn, der mir in seinem Lauf
1557Nicht Einen Wunsch erfüllen wird, nicht Einen,
1559Mit eigensinnigem Krittel mindert,
1560Die Schöpfung meiner regen Brust
1561Mit tausend Lebensfratzen hindert.
1562Auch muß ich, wenn die Nacht sich niedersenkt,
1563Mich ängstlich auf das Lager strecken,
1564Auch da wird keine Rast geschenkt,
1565Mich werden wilde Träume schrecken.
1566Der Gott, der mir im Busen wohnt,
1567Kann tief mein Innerstes erregen,
1568Der über allen meinen Kräften thront,
1569Er kann nach außen nichts bewegen;
1570Und so ist mir das Daseyn eine Last,
1571Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt.
∞Faust
1574Die blutgen Lorbeern um die Schläfe windet,1574 blutgen ] A blut’gen D.1
blut’gen B B.a
(IV a)1574 Lorbeern ] A Lorber’n B
Lorbern B.a
(IV a)
1575Den er, nach rasch durchrastem Tanze,
1576In eines Mädchens Armen findet.
1577O wär’ ich vor des hohen Geistes Kraft
1578Entzückt, entseelt dahin gesunken!
∞Faust
1583Wenn aus dem schrecklichen Gewühle
1584Ein süß bekannter Ton mich zog,
1585Den Rest von kindlichem Gefühle
1586Mit Anklang froher Zeit betrog;
1587So fluch’ ich allem was die Seele
1588Mit Lock- und Gaukelwerk umspannt,
1590Mit Blend- und Schmeichelkräften bannt!
1591Verflucht voraus die hohe Meinung,
1592Womit der Geist sich selbst umfängt!
1593Verflucht das Blenden der Erscheinung,
1594Die sich an unsre Sinne drängt!
1595Verflucht was uns in Träumen heuchelt,
1596Des Ruhms, der Namensdauer Trug!
1597Verflucht was als Besitz uns schmeichelt,
1598Als Weib und Kind, als Knecht und Pflug!
1599Verflucht sey Mammon, wenn mit Schätzen
1600Er uns zu kühnen Thaten regt,
1601Wenn er zu müßigem Ergetzen
1602Die Polster uns zurechte legt!
1603Fluch sey dem Balsamsaft der Trauben!
1604Fluch jener höchsten Liebeshuld!
1605Fluch sey der Hoffnung! Fluch dem Glauben,
1606Und Fluch vor allen der Geduld!
∞Geisterchor
∞unsichtbar
1607Weh! weh!
1608Du hast sie zerstört,
1609Die schöne Welt,
1610Mit mächtiger Faust,
1611Sie stürzt, sie zerfällt!
1612Ein Halbgott hat sie zerschlagen!
1613Wir tragen
1614Die Trümmern ins Nichts hinüber,
1615Und klagen
1616Über die verlorne Schöne.
1617Mächtiger
1618Der Erdensöhne,
1619Prächtiger
1620Baue sie wieder,
1621In deinem Busen baue sie auf!
1622Neuen Lebenslauf
1623Beginne,
1624Mit hellem Sinne,
1625Und neue Lieder
1626Tönen darauf!
∞Mephistopheles
1627Dies sind die kleinen
1628Von den Meinen.
1629Höre, wie zu Lust und Thaten
1630Altklug sie rathen!
1631In die Welt weit,
1632Aus der Einsamkeit,
1633Wo Sinnen und Säfte stocken,
1634Wollen sie dich locken.
1635Hör’ auf mit deinem Gram zu spielen,
1636Der, wie ein Geyer, dir am Leben frißt;
1637Die schlechteste Gesellschaft läßt dich fühlen
1638Daß du ein Mensch mit Menschen bist.
1640Dich unter das Pack zu stoßen.
1641Ich bin keiner von den Großen;
1642Doch willst du, mit mir vereint,
1643Deine Schritte durchs Leben nehmen;
1644So will ich mich gern bequemen
1645Dein zu seyn, auf der Stelle.
1646Ich bin dein Geselle
1647Und, mach’ ich dir’s recht,
1648Bin ich dein Diener, bin dein Knecht!
∞Faust
1651Nein nein! der Teufel ist ein Egoist
1652Und thut nicht leicht um Gottes Willen
1654Sprich die Bedingung deutlich aus;
1655Ein solcher Diener bringt Gefahr ins Haus.
∞Mephistopheles
1656Ich will mich hier zu
deinem Dienst verbinden,
1657Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn;
1658Wenn wir uns drüben
wieder finden,
1659So sollst du mir das Gleiche thun.
∞Faust
1660Das Drüben kann mich wenig kümmern,
1661Schlägst du erst diese Welt zu Trümmern,
1662Die andre mag darnach entstehn.
1663Aus dieser Erde quillen meine Freuden,
1664Und diese Sonne scheinet meinen Leiden;
1665Kann ich mich erst von ihnen scheiden,
1666Dann mag was will und kann geschehn.
1667Davon will ich nichts weiter hören,
1668Ob man auch künftig haßt und liebt,
1669Und ob es auch in jenen Sphären
1670Ein Oben oder Unten giebt.
∞Mephistopheles
1671In diesem Sinne kannst du’s wagen.
1672Verbinde dich; du sollst, in diesen Tagen,
1673Mit Freuden meine Künste sehn,
1674Ich gebe dir was noch kein Mensch gesehn.
∞Faust
1675Was willst du armer Teufel geben?
1676Ward eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben,
1677Von deines Gleichen je gefaßt?
1678Doch hast du Speise die nicht sättigt, hast
1679Du rothes Gold, das ohne Rast,
1680Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt,
1681Ein Spiel, bey dem man nie gewinnt,
1682Ein Mädchen, das an meiner Brust
1683Mit Äugeln schon dem Nachbar sich verbindet,
1684Der Ehre schöne Götterlust,
1685Die, wie ein Meteor, verschwindet.
1686Zeig mir die Frucht die fault, eh’ man sie bricht,
1687Und Bäume die sich täglich neu begrünen!
∞Mephistopheles
1688Ein solcher Auftrag schreckt mich nicht,
1689Mit solchen Schätzen kann ich dienen.
1690Doch, guter Freund, die Zeit kommt auch heran
1691Wo wir was Gut’s in Ruhe schmausen mögen.
∞Faust
1692Werd’ ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen;
1693So sey es gleich um mich gethan!
1694Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
1695Daß ich mir selbst gefallen mag,
1696Kannst du mich mit Genuß betrügen;
1697Das sey für mich der letzte Tag!
1698Die Wette biet’ ich!
∞Faust
1698Und Schlag auf Schlag!
1699Werd’ ich zum Augenblicke sagen:
1700Verweile doch! du bist so schön!
1701Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
1702Dann will ich gern zu Grunde gehn!
1703Dann mag die Todtenglocke schallen,
1704Dann bist du deines Dienstes frey,
1705Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen,
1706Es sey die Zeit für mich vorbey!
∞Faust
1708Dazu hast du ein volles Recht;
1709Ich habe mich nicht freventlich vermessen.
1710Wie ich beharre bin ich Knecht,
1711Ob dein, was frag’ ich, oder wessen.
∞Mephistopheles
1712Ich werde heute gleich, beym Doctorschmaus,
1713Als Diener, meine Pflicht erfüllen.
1714Nur eins! – um Lebens oder Sterbens willen,
1715Bitt’ ich mir ein Paar Zeilen aus.
∞Faust
1716Auch was geschriebnes forderst du Pedant?
1717Hast du noch keinen Mann, nicht Mannes-Wort gekannt?
1718Ist’s nicht genug, daß mein gesprochnes Wort
1719Auf ewig soll mit meinen Tagen schalten?
1720Ras’t nicht die Welt in allen Strömen fort,
1721Und mich soll ein Versprechen halten?
1722Doch dieser Wahn ist uns ins Herz gelegt,
1723Wer mag sich gern davon befreyen?
1724Beglückt wer Treue rein im Busen trägt,
1725Kein Opfer wird ihn je gereuen!
1726Allein ein Pergament, beschrieben und beprägt,
1728Das Wort erstirbt schon in der Feder,
1729Die Herrschaft führen Wachs und Leder.
1730Was willst du böser Geist von mir?
1731Erz, Marmor, Pergament, Papier?
1732Soll ich mit Griffel, Meißel, Feder schreiben?
1733Ich gebe jede Wahl dir frey.
∞Mephistopheles
1734Wie magst du deine Rednerey
1735Nur gleich so hitzig übertreiben?
1736Ist doch ein jedes Blättchen gut.
1737Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut.
∞Faust
1741Nur keine Furcht, daß ich dieß Bündniß breche!
1742Das Streben meiner ganzen Kraft
1743Ist g’rade das was ich verspreche.
1744Ich habe mich zu hoch gebläht,
1745In deinen Rang gehör’ ich nur.
1746Der große Geist hat mich verschmäht,
1747Vor mir verschließt sich die Natur.
1748Des Denkens Faden ist zerrissen,
1749Mir ekelt lange vor allem Wissen.
1750Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit
1751Uns glühende Leidenschaften stillen!
1752In undurchdrungnen Zauberhüllen
1753Sey jedes Wunder gleich bereit!
1754Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeit
1755In’s Rollen der Begebenheit!
1756Da mag denn Schmerz und Genuß,
1757Gelingen und Verdruß,
1758Mit einander wechseln wie es kann;
1759Nur rastlos bethätigt sich der Mann.
∞Mephistopheles
1760Euch ist kein Maß und Ziel gesetzt.
1761Beliebt’s euch überall zu naschen,
1762Im Fliehen etwas zu erhaschen;
1763Bekomm euch wohl was euch ergetzt.
1764Nur greift mir zu und seyd nicht blöde!
∞Faust
1765Du hörest ja, von Freud’ ist nicht die Rede.
1766Dem Taumel weih’ ich mich, dem schmerzlichsten
Genuß,
1767Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß.
1768Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist,
1769Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen,
1770Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist,
1771Will ich in meinem innern Selbst genießen,
1772Mit meinem Geist das Höchst’ und Tiefste greifen,
1773Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen,
1774Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern,
1775Und, wie sie selbst, am End’ auch ich zerscheitern.
∞Mephistopheles
1776O glaube mir, der manche tausend Jahre
1777An dieser harten Speise kaut,
1778Daß von der Wiege bis zur Bahre
1779Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut!
1780Glaub’ unser einem, dieses Ganze
1781Ist nur für einen Gott gemacht!
1782Er findet sich in einem ew’gen Glanze,
1783Uns hat er in die Finsterniß gebracht,
1784Und euch taugt einzig Tag und Nacht.
∞Mephistopheles
1785Das läßt sich hören!
1786Doch nur vor Einem ist mir bang’;
1787Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang.
1788Ich dächt’, ihr ließet euch belehren.
1789Associirt euch mit einem Poeten,
1790Laßt den Herrn in Gedanken schweifen,
1791Und alle edlen Qualitäten
1792Auf euren Ehren-Scheitel häufen,
1793Des Löwen Muth,
1794Des Hirsches Schnelligkeit,
1795Des Italiäners feurig Blut,
1796Des Nordens Dau’rbarkeit.
1797Laßt ihn euch das Geheimniß finden,
1798Großmuth und Arglist zu verbinden,
1799Und euch, mit warmen Jugendtrieben,
1800Nach einem Plane, zu verlieben.
1801Möchte selbst solch einen Herren kennen,
1802Würd’ ihn Herrn Mikrokosmus nennen.
∞Faust
1803Was bin ich denn? wenn es nicht möglich ist
1804Der Menschheit Krone zu erringen,
1805Nach der sich alle Sinne dringen.
∞Mephistopheles
1806Du bist am Ende – was du bist.
1807Setz’ dir Perrücken auf von Millionen Locken,
1808Setz’ deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
1809Du bleibst doch immer was du bist.
∞Faust
1810Ich fühl’s, vergebens hab’ ich alle Schätze
1811Des Menschengeist’s auf mich herbeygerafft,
1812Und wenn ich mich am Ende niedersetze,
1813Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
1814Ich bin nicht um ein Haar breit höher,
1815Bin dem Unendlichen nicht näher.
∞Mephistopheles
1816Mein guter Herr, ihr seht die Sachen,
1817Wie man die Sachen eben sieht;
1818Wir müssen das gescheidter machen,
1819Eh’ uns des Lebens Freude flieht.
1820Was Henker! freylich Händ’ und Füße
1821Und Kopf und H —
— die sind dein;
1822Doch alles was ich frisch genieße,
1823Ist das drum weniger mein?
1824Wenn ich sechs Hengste zahlen kann,
1825Sind ihre Kräfte nicht die meine?
1826Ich renne zu und bin ein rechter Mann,
1827Als hätt’ ich vier und zwanzig Beine.
1828Drum frisch! laß alles Sinnen seyn,
1829Und g’rad’ mit in die Welt hinein!
1831Ist wie ein Thier, auf dürrer Heide
1832Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt,
1833Und rings umher liegt schöne grüne Weide.
∞Mephistopheles
1834Wir gehen eben fort.
1835Was ist das für ein Marterort?
1836Was heißt das für ein Leben führen,
1837Sich und die Jungens ennuyiren?
1838Laß du das dem Herrn Nachbar Wanst!
1839Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen?
1841Darfst du den Buben doch nicht sagen.
1842Gleich hör’ ich einen auf dem Gange!
∞Mephistopheles
1844Der arme Knabe wartet lange,
1845Der darf nicht ungetröstet gehn.
1846Komm, gib mir deinen Rock und Mütze;
1847Die Maske muß mir köstlich stehn.
∞Er kleidet sich
um.
1848Nun überlaß es meinem Witze!
1849Ich brauche nur ein Viertelstündchen Zeit;
1850Indessen mache dich zur schönen Fahrt bereit!
∞
Faust ab
∞Mephistopheles
∞in Faust’s langem
Kleide
1851Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
1852Des Menschen allerhöchste Kraft,
1853Laß nur in Blend- und Zauberwerken
1854Dich von dem Lügengeist bestärken,
1855So hab’ ich dich schon unbedingt –
1856Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,
1857Der ungebändigt immer vorwärts dringt,
1858Und dessen übereiltes Streben
1859Der Erde Freuden überspringt.
1860Den schlepp’ ich durch das wilde Leben,
1861Durch flache Unbedeutenheit,
1862Er soll mir zappeln, starren, kleben,
1863Und seiner Unersättlichkeit
1864Soll Speis’ und Trank vor gier’gen Lippen schweben;
1865Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,
1866Und hätt’ er sich auch nicht dem Teufel übergeben,
1867Er müßte doch zu Grunde gehn!
∞Ein Schüler tritt auf
∞Mephistopheles
1872Eure Höflichkeit erfreut mich sehr!
1873Ihr seht einen Mann wie andre mehr.
1874Habt ihr euch sonst schon umgethan?
∞Schüler
1875Ich bitt’ euch, nehmt euch meiner an!
1876Ich komme mit allem guten Muth,
1877Leidlichem Geld und frischem Blut;
1878Meine Mutter wollte mich kaum entfernen;
∞Schüler
1881Aufrichtig, möchte schon wieder fort:
1882In diesen Mauern, diesen Hallen,
1883Will es mir keineswegs gefallen.
1884Es ist ein gar beschränkter Raum,
1885Man sieht nichts Grünes, keinen Baum,
1886Und in den Sälen, auf den Bänken,
1887Vergeht mir Hören, Seh’n und Denken.
∞Mephistopheles
1888Das kommt nur auf Gewohnheit an.
1889So nimmt ein Kind der Mutter Brust
1890Nicht gleich im Anfang willig an,
1891Doch bald ernährt es sich mit Lust.
1892So wird’s euch an der Weisheit Brüsten
1893Mit jedem Tage mehr gelüsten.
∞Schüler
1894An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen;
1895Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen?
∞Schüler
1898Ich wünschte recht gelehrt zu werden,
1899Und möchte gern, was auf der Erden1899–1900 gern, bis ist, ] A B.a gern, bis den Himmel ist, S
gern‸ bis ist‸ B
(IV c)
1900Und in dem Himmel ist, erfassen,
1901Die Wissenschaft und die Natur.
∞Mephistopheles
1902Da seyd ihr auf der rechten Spur;
1903Doch müßt ihr euch nicht zerstreuen lassen.
∞Schüler
1904Ich bin dabey mit Seel’ und Leib;
1905Doch freylich würde mir behagen
1906Ein wenig Freyheit und Zeitvertreib,1906 Zeitvertreib, ] A B.a Zeitvertreib‸ S
Zeitvertreib‸ B
(IV c)
1907An schönen Sommerfeiertagen.
∞Mephistopheles
1908Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen,
1909Doch Ordnung lehrt euch Zeit gewinnen.
1910Mein theurer Freund, ich rath’ euch drum
1911Zuerst Collegium Logicum.
1912Da wird der Geist euch wohl dressirt,
1913In spanische Stiefeln eingeschnürt,
1914Daß er bedächtiger so fort an
1915Hinschleiche die Gedankenbahn,
1917Irlichtelire hin und her.1917 Irlichtelire ] S A B.a Irrlichtelire 1 H.5
Irrlichtelire B
(II b*)
1918Dann lehret man euch manchen Tag,
1919Daß, was ihr sonst auf einen Schlag
1920Getrieben, wie Essen und Trinken frey,
1922Zwar ist’s mit der Gedanken-Fabrik
1923Wie mit einem Weber-Meisterstück,
1924Wo Ein Tritt tausend Fäden regt,
1925Die Schifflein herüber hinüber schießen,
1926Die Fäden ungesehen fließen,
1927Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt:
1928Der Philosoph der tritt herein,
1929Und beweis’t euch, es müßt’ so seyn:
1930Das Erst’ wär’ so, das Zweyte so,
1931Und drum das Dritt’ und Vierte so;
1932Und wenn das Erst’ und Zweyt’ nicht wär’,
1933Das Dritt’ und Viert’ wär’ nimmermehr.
1934Das preisen die Schüler aller Orten,
1935Sind aber keine Weber geworden.
1936Wer will was lebendig’s erkennen und beschreiben,
1937Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
1938Dann hat er die Theile in seiner Hand,
1939Fehlt leider! nur das geistige Band.
1940Encheiresin naturae nennt’s die
Chimie,
1941Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.
∞Mephistopheles
1943Das wird nächstens schon besser gehen,
1944Wenn ihr lernt alles reduciren
1945Und gehörig klassificiren.
∞Mephistopheles
1948Nachher, vor allen andern Sachen
1949Müßt ihr euch an die Metaphysik machen!
1951Was in des Menschen Hirn nicht paßt;
1953Ein prächtig Wort zu Diensten steht.
1954Doch vorerst dieses halbe Jahr
1955Nehmt ja der besten Ordnung wahr.
1956Fünf Stunden habt ihr jeden Tag;
1958Habt euch vorher wohl präparirt,
1959Paragraphos wohl einstudirt,
1960Damit ihr nachher besser seht,
1961Daß er nichts sagt, als was im Buche steht;
1962Doch euch des Schreibens ja befleißt,
1963Als dictirt’ euch der Heilig’ Geist!
∞Schüler
1964Das sollt ihr mir nicht zweymal sagen!
1965Ich denke mir wie viel es nützt;
1966Denn, was man schwarz auf weiß besitzt,
1967Kann man getrost nach Hause tragen.
∞Mephistopheles
1970Ich kann es euch so sehr nicht übel nehmen,
1971Ich weiß wie es um diese Lehre steht.
1972Es erben sich Gesetz’ und Rechte
1973Wie eine ew’ge Krankheit fort,
1974Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte,
1975Und rücken sacht von Ort zu Ort.
1976Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage;
1977Weh dir, daß du ein Enkel bist!
1978Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
1979Von dem ist leider! nie die Frage.
∞Schüler
1980Mein Abscheu wird durch euch vermehrt.
1981O glücklich der! den ihr belehrt.
1982Fast möcht’ ich nun Theologie studiren.
∞Mephistopheles
1983Ich wünschte nicht euch irre zu führen.
1984Was diese Wissenschaft betrifft,
1985Es ist so schwer den falschen Weg zu meiden,
1986Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
1988Am besten ist’s auch hier, wenn ihr nur Einen hört,
1989Und auf des Meisters Worte schwört.
1990Im Ganzen – haltet euch an Worte!
1991Dann geht ihr durch die sichre Pforte
1992Zum Tempel der Gewißheit ein.
∞Mephistopheles
1994Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich
quälen;
1995Denn eben wo Begriffe fehlen,
1996Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
1997Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
1998Mit Worten ein System bereiten,
1999An Worte läßt sich trefflich glauben,
2000Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.
∞Schüler
2001Verzeiht, ich halt’ euch auf mit vielen Fragen,
2003Wollt ihr mir von der Medicin
2004Nicht auch ein kräftig Wörtchen sagen?
2005Drey Jahr’ ist eine kurze Zeit,
2006Und, Gott! das Feld ist gar zu weit.
2007Wenn man einen Fingerzeig nur hat,
2008Läßt sich’s schon eher weiter fühlen.
∞Mephistopheles
∞für sich
2009Ich bin des trocknen Tons nun satt,
2010Muß wieder recht den Teufel spielen.
∞Laut
2011Der Geist der Medicin ist leicht zu fassen;
2012Ihr durchstudirt die groß’ und kleine Welt,
2013Um es am Ende gehn zu lassen,
2014Wie’s Gott gefällt.
2015Vergebens daß ihr ringsum wissenschaftlich schweift,
2016Ein jeder lernt nur was er lernen kann;
2017Doch der den Augenblick ergreift,
2018Das ist der rechte Mann.
2019Ihr seyd noch ziemlich wohlgebaut,
2020An Kühnheit wird’s euch auch nicht fehlen,
2021Und wenn ihr euch nur selbst vertraut,
2022Vertrauen euch die andern Seelen.
2023Besonders lernt die Weiber führen;
2024Es ist ihr ewig Weh und Ach
2025So tausendfach
2026Aus Einem Puncte zu curiren,
2027Und wenn ihr halbweg ehrbar thut,
2029Ein Titel muß sie erst vertraulich machen,
2030Daß eure Kunst viel Künste übersteigt;
2031Zum Willkomm’ tappt ihr dann nach allen
Siebensachen,
2032Um die ein andrer viele Jahre streicht,
2033Versteht das Pülslein wohl zu drücken,
2034Und fasset sie, mit feurig schlauen Blicken,
2035Wohl um die schlanke Hüfte frey,
2036Zu seh’n, wie fest geschnürt sie sey.
∞Schüler
2040Ich schwör’ euch zu, mir ist’s als wie ein Traum.
2041Dürft’ ich euch wohl ein andermal beschweren,
2042Von eurer Weisheit auf den Grund zu hören?
∞Schüler
2044Ich kann unmöglich wieder gehn,
2045Ich muß euch noch mein Stammbuch überreichen.
2046Gönn’ eure Gunst mir dieses Zeichen!
∞Er schreibt und
giebt’s.
∞Macht’s ehrerbietig zu und empfiehlt sich.nach 2048 ehrerbietig ] ehrbietig 1 H.5
ehrerbiethig S
ehrerbietieg A D.1
ehrerbietig B
ehrerbiethig B.a
(I a)
∞Mephistopheles
2049Folg’ nur dem alten Spruch und meiner Muhme der
Schlange,
2050Dir wird gewiß einmal bey deiner Gottähnlichkeit
bange!
∞Faust tritt auf
∞Mephistopheles
2051Wohin es dir gefällt.
2052Wir sehn die kleine, dann die große Welt.
2053Mit welcher Freude, welchem Nutzen,
2054Wirst du den Cursum durchschmarutzen!
∞Faust
2055Allein bey meinem langen Bart
2056Fehlt mir die leichte Lebensart.
2057Es wird mir der Versuch nicht glücken;
2058Ich wußte nie mich in die Welt zu schicken,
2059Vor andern fühl’ ich mich so klein;
2060Ich werde stets verlegen seyn.
∞Mephistopheles
2061Mein guter Freund, das wird sich alles geben;
2062Sobald du dir vertraust, sobald weißt du zu leben.
∞Mephistopheles
2065Wir breiten nur den Mantel aus,
2066Der soll uns durch die Lüfte tragen.
2067Du nimmst bey diesem kühnen Schritt
2068Nur keinen großen Bündel mit.
2069Ein Bißchen Feuerluft, die ich bereiten werde,
2070Hebt uns behend von dieser Erde.
2071Und sind wir leicht, so geht es schnell hinauf;
2072Ich gratulire dir zum neuen Lebenslauf!
∞
∞Auerbachs Keller in Leipzig
∞Zeche
lustiger Gesellen
∞Frosch
2073Will keiner trinken? keiner lachen?
2074Ich will euch lehren Gesichter machen!
2075Ihr seyd ja heut wie nasses Stroh,
2076Und brennt sonst immer lichterloh.
∞Siebel
2081Zur Thür hinaus wer sich entzweyt!
2082Mit offner Brust singt Runda, sauft und schreyt!
2083Auf! Holla! Ho!
∞Brander
2092Ein garstig Lied! Pfuy! ein politisch Lied!2092 politisch Lied! ] A B B.a politisch Lied, 1 H.5
politisch Lied‸ S
(II a*)
2093Ein leidig Lied! Dankt Gott mit jedem Morgen
2094Daß ihr nicht braucht für’s Röm’sche Reich zu
sorgen!
2095Ich halt’ es wenigstens für reichlichen Gewinn,
2096Daß ich nicht Kaiser oder Kanzler bin.
2097Doch muß auch uns ein Oberhaupt nicht fehlen;
2098Wir wollen einen Papst erwählen.
2099Ihr wißt, welch eine Qualität
∞Siebel
2108Ja, singe, singe nur, und lob’ und rühme sie!
2109Ich will zu meiner Zeit schon lachen.
2110Sie hat mich angeführt, dir wird sie’s auch so
machen.
2112Der mag mit ihr auf einem Kreuzweg schäkern;
2113Ein alter Bock, wenn er vom Blocksberg kehrt,
2114Mag im Galopp noch gute Nacht ihr meckern!
2115Ein braver Kerl von echtem Fleisch und Blut
2116Ist für die Dirne viel zu gut.
2117Ich will von keinem Gruße wissen,
2118Als ihr die Fenster eingeschmissen!
∞Brander
∞auf den Tisch
schlagend
2119Paßt auf! paßt auf! Gehorchet mir!
2120Ihr Herrn gesteht, ich weiß zu leben,
2121Verliebte Leute sitzen hier,
2122Und diesen muß, nach Standsgebühr,
2123Zur guten Nacht ich was zum Besten geben.
2124Gebt Acht! Ein Lied vom neusten Schnitt!
2125Und singt den Rundreim kräftig mit!
∞Er singt.