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30. 5. 1836

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Riemer an Müller (NFG/GSA, Müller-Nachlaß 670, 336 f)1:

[ QuZ Nr. III-483: Unser Publicum, das zum größern Theil aus Frauen und Mädchen, Jünglingen und Knaben besteht, und unsre Zeit die den Heiligen die Zehen abfrißt, kann freylich durch solche Aristophanismen, wie sie die Blocksbergsscene darbietet, nicht erbaut sondern nur geärgert werden. Ich bin daher ursprünglich und sponte nicht für die Veröffentlichung dieser Scene gewesen. In collegialischem Betrieb einer Sache, wird man oft gegen seinen Willen, wenn nicht zur eigentlichen Zustimmung, doch zur Connivenz verleitet, und da man doch das Beyspiel von Andersdenkenden vor Augen hat, so meynt man es könne, ja müsse deren Mehrere geben die das auch gut heißen, oder vertragen mögen, was uns apprehensiv schien. So habe ich denn, nach den Auslassungen welche Dr. Eckermann vorgenommen, die Sache hingehen lassen, nicht ohne die Erwartung die Censur am Druckort würde vielleicht noch einiges tuschen. Nun aber da Sie Selbst Bedenken tragen, so füge ich mich um so eher Ihrer Meynung, jedoch nicht in ihrer ganzen Ausdehnung. Ein so bedeutendes, von dem Volksmährchen selbst aufgenommenes und noch weiter ausgesponnenes Motiv, wie die Erscheinung des Satans auf dem Blocksberg, sammt dem Hexenunfug – den sogar unsere keuschesten Künstler mit unaussprechlichen (inexpressibles!) Nuditäten ausschmückten – darf schon in Künstlerischer Hinsicht – gleichsam als Contrapunct und Gegenstück zu der Erscheinung im Himmel, nicht unbenutzt bleiben und muß wenigstens angedeutet werden; freylich, da das Ohr keuscher ist als das Auge, nicht mit den Nuditäten und Cruditäten, die sich vom bildenden Künstler eher verstecken und in den Hintergrund bringen lassen; aber das Scenario, die Angabe der Personen oder Figuren, mit abgerissenen Worten müßte allerdings beybehalten werden, damit ein Kunstverständiger, Dichter oder Bildner, sehe der Poet habe ein Wesentliches seiner Fabel nicht übersehen, sondern diese Partieen nur angedeutet und nicht detaillirt. Man muß das Harzgebirge sehen. Die ganze Scenerie unter der Ueberschrift Höhere Region muß bleiben. Man muß auf dem Gipfel des Brockens den Satan auf seinem Thron. 387Großes Volk umher. Faust und Mephistopheles im nächsten Kreise sehen. Man muß des Satans erste Worte wenigstens vernehmen. Diese Parodie von Böcken zur Rechten, Ziegen zur Linken ist zu characteristisch für den Teufel, dem man für den Teufel! doch erlauben wird ein Atheist seyn zu dürfen! Nach den Kirchenvätern ist er ein Simia Dei, macht dem lieben Gott alles nach (wie er denn auch den Merlin erzeugt hat, auch mit einer Jungfrau, um Christi Erscheinung und Wirken einen Gegner und Widersacher zu stellen) – kurz er parodirt den Herrn und hält daher auch Audienz. Davon hernach! – Es muß daher auch der Chor bleiben, der übrigens nichts Anstößiges hat, sobald man des Satans Worte nicht gehört hat, auf die er sich bezieht. Die Stimme ist ebenfalls nöthig, um auch die Zuhörer gewahr zu werden, und deren Interesse in die diabolischen Geheimnisse eingeweiht zu werden. Mephistopheles Worte zu dem jungen Mädchen sind gleichfalls nothwendig, wie ihre Antwort – soweit nämlich als ich’s angestrichen habe. Endlich Satans letzte Worte seiner Thronrede, so weit als ich angedeutet, sind nothwendig zum Schluß dieser jetzt nebulistisch gehaltenen Scene, von der man durch den Hexen-Dampf und Lärm nur einzelne Brocken vernehmen kann, und hinreichend um diese jungen Confirmanden und Neophyten der Hexenschaft als gehörig endoctrinirt sich vorzustellen. Denn wenn es einen Satan giebt, und Hexen über die er ein Imperium ausübt, wenn das Local von Faust und Mephistopheles besucht wird; so muß man doch von der Teufelskanzel etwas zu sehen und von dem Prediger darauf etwas zu hören bekommen können, und wenn es auch nur von weitem und so wenig als möglich ist. Soweit.

Die Privataudienz ist gleichfalls nicht ganz aufzugeben. Die unendlich feine Ironie die darin liegt, daß der Simia Dei sich den H – küssen läßt, wie der Stellvertreter Christi den Pantoffel, ist zu bedeutend und wenn man einmal über den Hund kommt, kommt man auch über den Schwanz!

Nach dieser Ansicht vom Ganzen habe ich die wegzulassenden Stellen mit Bleystift durchstrichen oder umklammert. So läßt es sich nicht nur ertragen, sondern auch nothdürftig verstehen, und mehr braucht man auch nicht. Versteht man doch – oder viele wenigstens – das in extenso ausgesprochene an andern Stellen nicht; und muß doch nicht jedem alles klar seyn. Aber sapienti sat!

Wenn Sie und die Mitredac 388toren mit dieser Anordnung einverstanden sind, – ich muß bitten es Dr. Eckermann zu commun[i]ciren, wie denn auch Musculus der es abzuändern hat, beyde aber verlangen können, daß nicht hinter ihrem Rücken Abänderungen vorgenommen werden, von denen sie nichts wissen und die sie gleichwohl zu vertreten haben – so wird es ja wohl mit dem M[anu]sc[ri]pt des Fausts, das ich alleweile noch durch zu corrigiren habe, abgehen können.

Andre Paralipomena vom Faust sind mir nicht bekannt. Denn die Scene im IV Bande S. 220–224.1 paßt gar nicht in unsern Faust, und ist blos zum Behuf der Aufführung des Faust bey Fürst Radzivil, als ein technischer Behelf von G. erfunden worden; aber meines Erachtens nicht glücklich, wie denn das Nachbessern und Einschieben dem seligen Herrn nicht immer gelingen wollte. ]