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1343.

1831, 2. März.

Mit Johann Peter Eckermann

[ Gräf Nr. 1890: Heute bei Goethe zu Tische kam das Gespräch bald wieder auf das Dämonische, und er fügte zu dessen näherer Bezeichnung noch Folgendes hinzu.

»Das Dämonische,« sagte er, »ist dasjenige, was 37 durch Verstand und Vernunft nicht auszulösen ist. In meiner Natur liegt es nicht, aber ich bin ihm unterworfen.«

»Napoleon,« sagte ich, »scheint dämonischer Art gewesen zu sein.«

»Er war es durchaus,« sagte Goethe, »im höchsten Grade, sodaß kaum ein anderer ihm zu vergleichen ist. Auch der verstorbene Großherzog war eine dämonische Natur, voll unbegrenzter Thatkraft und Unruhe, sodaß sein eigenes Reich ihm zu klein war, und das größte ihm zu klein gewesen wäre. Dämonische Wesen solcher Art rechneten die Griechen unter die Halbgötter.«

»Erscheint nicht auch,« sagte ich, »das Dämonische in den Begebenheiten?«

»Ganz besonders,« sagte Goethe, »und zwar in allen, die wir durch Verstand und Vernunft nicht aufzulösen vermögen. Überhaupt manifestirt es sich auf die verschiedenste Weise in der ganzen Natur, in der unsichtbaren wie in der sichtbaren. Manche Geschöpfe sind ganz dämonischer Art, in manchen sind Theile von ihm wirksam.«

»Hat nicht auch,« sagte ich, »der Mephistopheles dämonische Züge?«

»Nein,« sagte Goethe; »der Mephistopheles ist ein viel zu negatives Wesen, das Dämonische aber äußert sich in einer durchaus positiven Thatkraft. ]

Unter den Künstlern,« fuhr Goethe fort, »findet es sich mehr bei Musikern, weniger bei Malern. Bei 38 Paganini zeigt es sich im hohen Grade, wodurch er denn auch so große Wirkungen hervorbringt.«

Ich war sehr erfreut über alle diese Bezeichnungen, wodurch es mir nun deutlicher wurde, was Goethe sich unter dem Begriff des Dämonischen dachte.

Wir reden sodann viel über den vierten Band [von Goethes ›Aus meinem Leben‹, den er zur Durchsicht Eckermann mitgetheilt hatte], und Goethe bittet mich, aufzuzeichnen was noch daran möchte zu thun sein.

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